Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Neureuther: "Es muss mal Bumm machen"

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Der Skifahrer verlangt mehr Risikofreude nach den mageren Ergebnissen im Riesenslalom von Alta Badia - und kritisiert die jüngeren deutschen Fahrer.

Von Gerald Kleffmann, Alta Badia

Am Ende war es wieder diese Momentaufnahme, die sich hier inmitten der zackigen Dolomiten alljährlich wiederholt. Die Sonne schien, der Schnee glitzerte in dünnen, von Maschinen künstlich angelegten Streifen, weil erneut keine Flocken vom Himmel gefallen waren. Und im Zielraum des Riesenslalom-Klassikers von Alta Badia jubelten die Zuschauer. Nach 29 Startern im zweiten Durchgang stand nur noch Marcel Hirscher im Starthaus auf der Gran Risa, dann demonstrierte der Österreicher, fünfmal in Serie Gesamt-Weltcupsieger, dass kein anderer die Kanten in den Eishang presst wie er. In 2:32,89 Minuten hängte er den Franzosen Mathieu Faivre um 0,71 Sekunden ab - vierter Erfolg in Serie auf dieser fordernden Piste in Südtirol.

Einen Neuigkeitswert hatte dieses Ergebnis also nicht, entsprechende Gedanken hatte sich daher einer wie Felix Neureuther zuletzt gemacht, wie die Dominanz Hirschers zu durchbrechen sei. Sechster wurde Deutschlands bester Techniker am Sonntag, sein Rückstand betrug 2,13 Sekunden, womit er 0,80 Sekunden schneller war als Stefan Luitz. Der Kollege des Deutschen Skiverbandes (DSV) schaffte als Neunter seinen zweiten Top-Ten-Rang der Saison, doch bestückte - müßig zu betonen - Durchgang zwei mit Schnitzern. Luitz haderte vor allem mit einem zu späten Schwungansatz im Steilhang: "Es war okay, aber nicht das, was ich kann."

In seiner Stimme lag Unzufriedenheit, wie bei Neureuther, der zwar meinte, er könne damit leben, mit zwei soliden Läufen Rang sechs erreicht zu haben. Aber Sechster, das ist nicht sein Anspruch, so präzisierte er: Ihm fehle Aggressivität. Das Problem liege "im Kopf", er habe "nicht den Mega-Zug" hingekriegt. Es grummelte in ihm, auch wenn er "endlich schmerzfrei" sei. Aufgrund zu häufig verpasster Trainingseinheiten in den vergangenen Jahren fehlten ihm "viele Tore", und wie er so weitergrübelte, bestätigte er den Eindruck, den er am Vorabend hinterlassen hatte: Es geht ihm gerade um eine grundlegende Nachjustierung seiner Berufsausübung. Das Bemerkenswerte dabei: Er knöpft sich nicht nur seine eigenen Auftritte vor. Sondern auch die jüngeren Kollegen des DSV.

Grundsätzlich, und da schloss Neureuther sich zunächst komplett mit ein in der Analyse, habe der Mannschaft zuletzt "der letzte Zug gefehlt", "die letzte Risikobereitschaft". Als Vorbild für geschlossenen Teamgeist, mit dem die Leistung aller in Grenzbereiche verschoben werden kann, nannte er Konkurrenten aus einem Nachbarland. "Es muss mal Bumm machen wie bei den Franzosen, die stehen als Mannschaft da wie eine Bombe. Die knallen da runter", sagte Neureuther, der folgenden ersten Ansatzpunkt ausmachte: "Die große Lehre ist: Du musst dich am Limit bewegen. Auch im Training." Nur was dort funktioniere, könne auch im Ernstfall funktionieren.

Sich selber packte er sogleich am Schlawittchen, indem er zugab, er habe sich beim Slalom in Val d'Isère vor dem ersten Durchgang einschüchtern lassen - von der Piste. Wie im Falle der verbesserungswürdigen Aggressivität wolle er nun stärker in den inneren Monolog gehen, "ich mache das mit mir selbst aus, ich bin erfahren genug", sagte Neureuther, 32, der weiß, dass solche Prozesse Zeit benötigen. Bis die Korrekturen im Kopf wirken, hilft ihm vorerst auch immer sein Schelmenhumor: "Im Riesenslalom war ich nie der absolute Siegläufer", ordnete er lächelnd ein.

Sein erfahrungsreicher Weg hat ihn gelehrt, mit dem Druck des Leistungssports umzugehen, doch auffällig ist auch, dass er nun, nach dem verletzungsbedingten Saison-Ausfall des WM-Zweiten Fritz Dopfer, den Druck etwas anders verlagert sehen möchte. "Die Jungen müssen auch mal langsam abliefern", diese deutliche Forderung hatte er am Samstag vor der Startnummernvergabe unmissverständlich mitgeteilt, womit der Münchner Linus Straßer und vor allem den Bolsterlanger Luitz gemeint waren, die großen Techniktalente.

Das Rollenspiel in der idealen DSV-Welt war ja stets so, dass Neureuther und Dopfer kraft ihrer Reife und sportlichen Güte eine Panzerfunktion übernahmen, hinter diesem Schutzschild konnten sich die jungen Wilden entfalten. Mit dem Ausfall Dopfers ist die Lage aber neu, Neureuther ist ein Ein-Mann-Panzer. Eine Rolle, die er zwar gerne leistet, aber halt nur mit Einschränkungen. "Wenn wir zusammen trainieren, muss das Ansporn genug sein", stellte er klar. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der die Jungen flügge werden müssen. Wie er einst. Mit 24 Jahren ist das den gleichaltrigen Luitz und Straßer auch zuzumuten. Das war Neureuthers Botschaft.

Luitz, der Draufgänger, hat in Alta Badia dann auch sofort signalisiert, dass er bereit sei für den nächsten Schritt. Als er gefragt wurde, ob er Neureuthers Gedanken verstehe, antwortete er so forsch, wie er die Tore anfährt: "Auf jeden Fall." An diesem Montag darf er sich gleich wieder beweisen, beim Parallel-Riesenslalom in Alta Badia.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2016
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