Süddeutsche Zeitung

Angelina Köhler bei der Schwimm-WM:Knapp vorbei ist gar nicht daneben

Lesezeit: 3 min

Angelina Köhler wollte nicht ins US-Collegesystem wechseln. Nun schwimmt die 22-Jährige in einem Weltklassefeld über 100 Meter Schmetterling auf WM-Platz fünf und ist überzeugt: Nirgends ist es besser als in der Hauptstadt.

Von Sebastian Winter, Fukuoka

Es gibt Menschen, denen sieht man ihren Missmut schon aus 50 Metern Entfernung an. Und es gibt Angelina Köhler. Entspannt lief die 22-jährige Schwimmerin aus dem Westerwald bei ihrer Vorstellung in die Marine Messe von Fukuoka ein, türkisfarbener Badeanzug, gelb-lila gestreifte Schwimmbrille. Sie breitete die Arme aus, grinste, dann stellte sie sich auf den Startblock, bereit fürs WM-Finale über 100 Meter Schmetterling.

Neben Köhler: Zhang Yufei, die Doppel-Olympiasiegerin aus China. Maggie Mac Neil, Olympiasiegerin und Weltmeisterin aus Kanada. Und, vielleicht der größte Name, Emma McKeon, fünf Mal Olympiagold, vier WM-Titel. Und auch wenn Köhler nicht ganz an Yufei, die neue Weltmeisterin, herankam und das Podest knapp verpasste: Platz fünf war so ziemlich das Beste, was sie bei diesem Rennen herausholen konnte. "Ich war der Underdog", sagte Köhler ein paar Minuten später im langen Gang der Arena, in der die Schwimmerinnen und Schwimmer Rede und Antwort stehen. Sie grinste auch hier. Kurz darauf fiel sie vor Erschöpfung fast über einen Stuhl.

Ihre Zeit: 57,05 Sekunden. Damit hat Köhler den deutschen Rekord, den sie erst am Vortag im Zwischenlauf aufgestellt hatte, eingestellt. Im Vorlauf hatte sie 57,06 Sekunden für die Strecke benötigt, welch eindrucksvolle Konstanz. "Ich hoffe, vielleicht irgendwann die 57 zu knacken, das wäre ein Traum", sagte Köhler. Noch bleibt dieser Traum unerfüllt, realisieren möchte sie ihn spätestens bei den Olympischen Spielen im kommenden Jahr in Paris.

Köhler schlägt dabei einen sehr besonderen Weg ein - auch aus der Not heraus. Denn fast wäre sie wegen eines großen Umbruchs in ihrer Trainingsgruppe in Hannover in die USA gegangen, um vom dortigen College-System zu profitieren. Dorthin also, wohin es schon Anna Elendt, Fabian Schwingenschlögl, Marius Kusch und andere deutsche Schwimmer gezogen hat - die in den hiesigen Stützpunkten nicht mehr wirklich weiterkamen. Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ist nicht wirklich glücklich über diese Weggänge. Und Köhler? Entschied sich aus dem Bauch heraus gegen die USA - und für den eher kleinen Schritt nach Osten: zur SG Neukölln.

Neben der Magdeburger Langstreckengruppe um Florian Wellbrock, der bei dieser WM in Fukuoka schon zwei Goldmedaillen im Freiwasser geholt hat (seine Trainingspartner Oliver Klemet und Lukas Märtens gewannen jeweils Bronze), entsteht dort gerade ein zweiter Schwimmschwerpunkt. Trainer Lasse Frank konzentriert sich auf die Kurz- und Mittelstrecke, Distanzen also, auf denen eine Zentralisierung in Deutschland bislang völlig fehlte. Trainingswissenschaftler analysieren in Berlin kleinste Details im Strömungskanal, beispielsweise, ob die Handwinkel der Athleten unter Wasser für den Vortrieb perfekt passen oder nicht.

Köhler jedenfalls geriet nach dem Finale in Fukuoka, als sie über Berlin sprach, ins Schwärmen: "Ich bin Lasse so dankbar, dass er sich so viel Mühe mit mir gibt und auch Verständnis für mich hat. Diese Hingabe ist einzigartig." Sie erzählte von weiteren passenden Puzzleteilen: das akribische Core-Training der Athletiktrainerin, eine spezielle Methode, mit der die Rumpfmuskulatur besonders gestärkt wird. Oder den Zusammenhalt der Berliner Gruppe. Rückenexperte Ole Braunschweig ist dort Führungsfigur und "unser Trainingspapa. Wir gehen oft frühstücken, entdecken Berlin auch mal auf dem Flohmarkt. Wir sind beste Freunde, das ist noch mal etwas ganz anderes, als einfach nur Trainingskollegen zu sein."

Vermutlich musste Köhler Braunschweig am Montagabend viel Trost spenden, denn der 25-Jährige schied in seinem Halbfinale über 100 Meter Rücken als Vorletzter aus und kommentierte danach stinksauer: "Bullshit. Es war einfach ein schlechtes Rennen." Auch die in die USA abgewanderte Anna Elendt war zutiefst enttäuscht, weil sie als WM-Zweite von Budapest nun bereits im Vorlauf über ihre Paradestrecke 100 Meter Brust ausschied. Elendt schwieg danach.

Aus Köhler sprudelte es dagegen heraus. Ob sie nun glücklich über ihre Bauchentscheidung sei, nach Berlin und nicht in die USA gegangen zu sein? "Das war zu 100, zu 130, zu 1000 Prozent die richtige Entscheidung", sagte sie: "Die Individualität, mit der das Training auf mich eingestellt wird, gibt es in den USA nicht. Das glaube ich einfach nicht."

Dass Köhlers Leistungskurve nun klar nach oben weist, zeigte sie bereits bei der deutschen Meisterschaft Anfang Juli, als sie nach ihrem Sieg über ihre WM-Strecke binnen zehn Minuten zu zwei weiteren Titeln schwamm. 2022 war sie bei der Kurzbahn-WM und bei der EM jeweils auf Platz vier gelandet. Eine Medaille auf der großen internationalen Bühne fehlt ihr allerdings noch. Dann in Paris 2024?

Mit den Olympischen Spielen hat Köhler ohnehin noch eine Rechnung offen. Sie verpasste Tokio, weil sie sich während des Qualifikationszeitraums mit dem Coronavirus infiziert hatte - und war völlig desillusioniert. Nun hat sie den Spaß am Schwimmen offenkundig wiedergefunden in Berlin. Und am Stuhl, dieser Stolperfalle in Fukuoka, ist sie am Ende auch ohne Blessuren vorbeigekommen.

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