Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Klagen über Klagen

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Der Bayerische Schwimmverband schließt seinen traditionsreichen Stützpunktverein TB Erlangen aus. Ein halbes Jahr vorher hat der BSV dem Klub schon den Landesstützpunkt entzogen. Es geht um Macht, Eitelkeit und persönliche Befindlichkeiten.

Von Sebastian Winter, Erlangen

Der Bayerische Schwimmverband hat am 11. Mai eine brisante Neuigkeit in aller Kürze auf seiner Homepage veröffentlicht. In exakt einem Satz heißt es da unter der Überschrift "Ausschluss eines bayerischen Vereins aus dem Bayerischen Schwimmverband e.V.": "Aufgrund eines Präsidiumsbeschlusses des Bayerischen Schwimmverbandes vom 24.04.2021, wurde der Turnerbund 1888 Erlangen mit Wirkung zum 09.05.2021 aus dem Bayerischen Schwimmverband ausgeschlossen." Punkt.

Es ist die schärfste Klinge, die ein Verband führen kann. Selbst langjährige Schwimmfunktionäre können sich nicht erinnern, wann so etwas zuletzt passiert ist. Jedenfalls ist es der bisherige Tiefpunkt im Zwist zwischen dem Turnerbund (TB) Erlangen und dem Bayerischen Schwimmverband (BSV), der offenbar schon seit Jahren schwelt. Mehr als ein Dutzend Gerichtsverfahren gab und gibt es, die Anwälte des Klubs haben knapp 30 Aktenordner mit tausenden Seiten angehäuft. Das Kernverfahren wird seit Mitte März am Landgericht Nürnberg-Fürth verhandelt. Darin geht es um die Frage, ob die Verlegung des Landesstützpunktes von Erlangen nach Nürnberg zum 1. Januar 2021 rechtens war. Der Verein wirft dem Verband einen Kartellrechtsverstoß vor.

Erlangen gehen durch den Verlust des Stützpunktes Fördermittel und Sponsoren verloren - und womöglich die Schwimmer

Der BSV hatte den Umzug damit begründet, den Schwimmsport und die Kaderausbildung in Nürnberg konzentrieren zu wollen - dort, wo mit zwei Bädern in Langwasser (das 2015 für 32 Millionen Euro gebaut wurde) und beim 1. FC Nürnberg sowie dem Bertold-Brecht-Gymnasium als Eliteschule des Sports beste Bedingungen für den Nachwuchs herrschen. Ein Sportinternat soll dort außerdem entstehen. Für Erlangen hat dieser Umzug allerdings weitreichende Konsequenzen. Er bedeutet nicht nur das Ende als Landesstützpunkt, dem Verein gehen dadurch auch Fördermittel und Sponsoren verloren. Auch der Vertrag des dortigen langjährigen Landestrainers Roland Böller, bislang mischfinanziert vom BSV und dem TB Erlangen, wurde nicht verlängert. Dagegen läuft eine weitere Klage, der Verein beschäftigt Böller unterdessen aus eigenen Mitteln als Cheftrainer weiter.

Viele der ungefähr 30 Kaderathleten des TB wollen aber nicht (nur) mit der neuen Stützpunkttrainerin in Nürnberg arbeiten, sondern (auch) bei Böller bleiben, der nun allerdings kein Stützpunkt-Mandat mehr hat. Gerichtliche Klagen laufen auch dort, manche von Eltern. Sieben TB-Nachwuchsschwimmer treten bei der deutschen Meisterschaft Anfang Juni in Berlin nun unter der Flagge "Bayerischer Schwimmverband" an. Der TB Erlangen existiert im BSV als Mitglied nach dem Rauswurf ja de facto nicht mehr. Auch dagegen will der Verein vorgehen.

Die Fallhöhe in dieser Geschichte ist nicht ganz klein, auch nicht für den Verband: Erlangen ist ein stolzer Schwimmstandort mit großer Tradition in Bayern, nicht erst seit der Ernennung zum Landesstützpunkt vor zwölf Jahren. Er war einmal Vorzeigeobjekt auch des BSV. Hannah Stockbauer ist dort unter Trainer Böller zur Weltklasse-Schwimmerin herangereift, die Freistilexpertin wurde zwischen 2001 und 2003 fünfmal Weltmeisterin und gewann 2004 in Athen Olympia-Bronze; die Schwimmhalle in Erlangen trägt ihren Namen. Daniela Götz, die ebenfalls in Athen Olympia-Bronze gewann, und Teresa Rohmann sind auch in Erlangen ausgebildet worden.

Der Verein spricht von einem Zerwürfnis. Der Verbandspräsident sagt, er könne eine Fehde "definitiv ausschließen, das ist hanebüchen"

Der heutige BSV-Präsident Harald Walter hat den Landesstützpunkt als damaliger Schwimm-Abteilungsleiter des TB Erlangen mit aufgebaut, viel Engagement in das Projekt gesteckt. Doch 2016 kam es, so schildert es jedenfalls TB-Präsident Matthias Thurek, zum Zerwürfnis zwischen Walter und Cheftrainer Böller. Böller selbst spricht von einem "Vertrauensverlust, der deutliche Risse in der zuvor guten Zusammenarbeit hinterließ". Die Gründe, die dazu führten, möchten beide nicht nennen. Walter betont auf SZ-Nachfrage, er könne "definitiv eine Fehde ausschließen, das ist hanebüchen. Mein Sohn hat dort trainiert, wir haben immer gut zusammengearbeitet".

Jedenfalls glauben sie beim TB Erlangen, dass Walter - der nach eigener Aussage nach wie vor TB-Mitglied ist - seither eine Art persönlichen Rachefeldzug führt, um den Stützpunkt zu zerstören. Walter wiederum beruft sich auf die Sachargumente, die für den Umzug nach Nürnberg gesprochen hätten. Beide Seiten stimmen immerhin darin überein, dass es im Februar 2020 ein Treffen zwischen Walter und Thurek gegeben hat, im schicken Erlanger Restaurant Holzgarten. Inhalt: die Zukunft. Nur welche? Thurek sagt, Walter habe dort mit keiner Silbe erwähnt, dass der Stützpunkt von Erlangen nach Nürnberg verlegt werde. Walter sagt, dass es genau um diese Verlegung gegangen sei.

Die eigentlich Leidtragenden sind die Nachwuchsschwimmer

Im Juni darauf war ein weiteres Treffen anberaumt, der TB habe Kaffee und Kuchen serviert und sich auf ein längeres Gespräch eingestellt, erzählt Thurek. Anstelle von Walter kamen dann aber der Vorsitzende des Bezirks Mittelfranken, Rainer Freisleben, und Wolfgang Göttler, der Fachwart Schwimmen des BSV, im Übrigen beides frühere TB-Mitglieder. Samt Anwalt und der schriftlichen Mitteilung, dass der Vertrag für den Stützpunkt Erlangen - und Trainer Böller - nicht verlängert werde.

Der TB nutzt seither jede Klagemöglichkeit, die sich ihm bietet - bislang ohne nennenswerten Erfolg. Womöglich hat er den Bogen dabei auch überspannt, jedenfalls beschuldigte er den BSV, inmitten der Corona-Pandemie Test-Wettkämpfe durchzuführen, wie in München, bei denen auch Nicht-Kaderathleten dabei waren. Das wäre nach der damals geltenden Corona-Verordnung verboten gewesen. Die Vorwürfe kamen beim Münchner Stützpunkt gar nicht gut an, "wir konnten sie auch eins zu eins widerlegen", sagt SG-Stadtwerke-München-Präsident Andreas Füchsl.

Die SG ersuchte den BSV laut Füchsl daraufhin auch wegen solcher Anschuldigungen um den Ausschluss des TB Erlangen aus dem Verband - wie zwei Nürnberger Vereine, die nun ohnehin vom Stützpunkt-Wechsel profitieren. Der Ausschluss ist nun Fakt, offenbar wegen "verbandsschädigendem Verhalten".

Und beide Seiten suchen nach der Deutungshoheit. Der TB Erlangen will zur Not bis zum Bundesgerichtshof klagen, auch weil er nicht akzeptiert, nach Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit den Stützpunkt zu verlieren - trotz der Argumente für die Zentralisierung in Nürnberg. Der von der Klagewelle genervte BSV nutzt nun in Bulldozer-Manier seine Macht. "Dass wir den Verein ausgeschlossen haben, weil wir den Stützpunkt zerschlagen wollen, ist Quatsch", sagt Verbands-Vizepräsident Bastian Esefeld, der immerhin zugibt: "Wir hätten vielleicht noch mehr in die Kommunikation gehen und auf die Konsequenzen hinweisen müssen."

Ein Mittelweg, der Erlangen einbindet, gilt angesichts der Zerwürfnisse nun als kaum mehr beschreitbar. Auch nicht für die Nachwuchsschwimmer - die eigentlich Leidtragenden in diesem Fall.

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