Süddeutsche Zeitung

Schwimmen:Freischwimmen in Rom

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Isabel Gose und Lukas Märtens sind das neue Gold-Duo des deutschen Schwimmens - und lösen sich aus dem großen Schatten von Florian und Sarah Wellbrock

Von Sebastian Winter

Isabel Gose und Lukas Märtens, beide 20 Jahre jung, wohnen zusammen in Magdeburg in einer Drei-Zimmer-Wohnung, kaum zwei Minuten Fußweg vom Schwimmzentrum entfernt, wo sie trainieren. Das ist bequem, kurze Wege wünscht sich jeder Spitzensportler bei der Ausübung seines Berufs. Doch diese Wohnung ist im Juli ziemlich klein geworden für das Paar. Märtens, der zuvor bei der WM in Budapest Silber über 400 Meter Freistil gewonnen hatte, hatte sich dort wie viele andere Schwimmer mit Corona angesteckt. Der Start bei den Europameisterschaften in Rom in dieser Woche stand damit nicht nur für ihn selbst infrage, sondern auch für Gose. Denn auch sie hatte eine Startberechtigung in Italien - wie Märtens gehört Gose zu den besten Freistil-Experten des Landes. "Ich hatte schon Angst, dass ich das auch bekomme - definitiv", sagte Gose in Rom. Die Entscheidung war klar: "Ich habe ihn im dritten Zimmer eingesperrt und dort gelassen, habe ihm immer Essen gebracht. Das hat ganz gut geklappt, wie man sieht."

Nach den letzten Beckenwettkämpfen im Foro Italico kehren Gose und Märtens medaillenbehangen zurück nach Magdeburg: Am Mittwochabend gewannen beide ihr jeweils erstes EM-Gold im 50-Meter-Becken, beide über ihre Paradestrecke 400 Meter Freistil, zunächst Gose, knapp zehn Minuten später Märtens. In den Tagen zuvor hatten Gose und Märtens jeweils Silber über 800 Meter Freistil gewonnen, dazu Gose Bronze über die 200 Meter. Harmonischer geht es kaum, und man kommt kaum drumherum zu sagen, Gose und Märtens sind nun zum neuen Goldpaar des deutschen Schwimmens geworden: In Rom haben sie alleine fünf der insgesamt acht Medaillen für die DSV-Beckenschwimmer geholt. "Am liebsten wäre ich durchgerannt zu ihm direkt ins Wasser rein, aber sie haben mich nicht durchgelassen", sagte Gose.

Mit ihrem Erfolg sind beide nun auch ein wenig aus dem großen Schatten von Florian und Sarah Wellbrock herausgetreten, die bezeichnenderweise zusammen mit ihnen in Magdeburg trainieren. Für Wellbrock, der sich nach seiner erfolgreichen WM ebenfalls mit dem Virus angesteckt hatte und in Rom nicht fit war, war es eine EM zum Vergessen - mit nur einem Rennen über 1500 Meter Freistil, das er auf dem enttäuschenden fünften Platz beendete. Seine Frau war wie schon bei der WM studienbedingt in Magdeburg geblieben.

Gose hatte in Budapest noch Tränen der Enttäuschung vergossen, weil es mit der Medaille nicht ganz geklappt hatte, Märtens hatte sich bereits dort in starker Form gezeigt. Zu ihrer privaten Verbindung äußerten sie sich auch in Rom sehr pragmatisch: "Es gibt immer mal wieder ein Küsschen und eine Umarmung, und das reicht dann erst mal", sagte Gose, die zuhause gerne Filme schaut, während Märtens Playstation spielt, und die ein komplett anderer - viel längerer - Weg nach Magdeburg geführt hat.

Isabel Gose hat sich von einer Last befreit. Sich freigeschwommen, im Wortsinn

Märtens ist dort aufgewachsen, beim PSV Magdeburg hat er eineinhalb Jahre Fußball ausprobiert, um das Spiel auch wegen "fehlender Spielintelligenz" zu verlassen und mit sechs Jahren Schwimmen auszuprobieren. "Meine Eltern haben gesehen, dass ich das gebraucht habe, dass ich unterfordert war und viel Bewegungsdrang hatte. Ich wollte und sollte Sport machen, das war immer auch ein guter Ausgleich zur Schule", sagte Märtens vor der WM der SZ. Seit drei Jahren trainiert er bei Bundestrainer Bernd Berkhahn, zusammen mit den Wellbrocks - und mit Gose. Das Quartett profitiert dort enorm voneinander. Auch einen Strömungskanal gibt es in Magdeburg, was für Gose völlig neu war.

Sie hat keine einfache Zeit hinter sich, mehrere Schulwechsel, Potsdam, zum Stützpunkt nach Heidelberg, dann nach Magdeburg. Im Gegensatz zu Märtens war sie ein Wandervogel, der erst jetzt langsam seine Ruhe findet. Die Schülerin hat die zwölfte Klasse beendet, sich aber dafür entschieden, kein Abitur zu machen. Die vergangenen Jahre, in denen sie in drei verschiedenen Bundesländern war, an drei verschiedenen Stützpunkten trainierte, auf vier verschiedenen Schulen war, haben sie zermürbt. Nun hat sie sich in Rom ganz offensichtlich auch von dieser Last befreit. Sie hat sich freigeschwommen, im Wortsinn.

Ob es noch eine Party gebe, wurden die beiden am Mittwochabend noch gefragt: "Heute passiert auf jeden Fall noch ein bisschen was", sagte Märtens, Gose ergänzte: "Vielleicht gibt's Party auf dem Zimmer und im Bettchen." Fest steht in jedem Fall: Das Essen muss Isabel Gose ihrem Freund nun nicht mehr an die Zimmertür stellen.

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