Süddeutsche Zeitung

Schwimm-DM:Fröhlicher Heintz schwimmt in die Weltspitze

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Von Saskia Aleythe, Berlin

Philip Heintz zog sich eilig die Badekappe vom Kopf, schaute noch mal ungläubig zur Anzeigetafel und ließ sich dann tragen von seinen Gefühlen. Da war es wieder, sein Lächeln, für das man im Lexikon den Begriff "gewinnend" findet: groß, breit, auffällig. Der 26-Jährige hatte gerade seine Spezialdisziplin 200 Meter Lagen hinter sich gebracht, in 1:55,76 Minuten. Die bedeuten neuen deutschen Rekord, Platz eins in der Welt und bei einer deutschen Meisterschaft im Schwimmen kurz vor der WM in Budapest im Juli auch noch ein bisschen mehr. Vom Glück beflügelt, schaffte Heintz noch im Wasser einen Jubel samt Muskelspielchen, stieg aus dem Becken, strahlte weiter und sagte: "Mit der Zeit muss ich jetzt eigentlich meine Karriere beenden." Weil er immer auf sie hingearbeitet hatte.

Der fröhliche Heintz war vor zehn Monaten noch ein trauriger. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro bot sich dieses Bild von ihm: Er stieg aus dem Becken und weinte. Für die Beobachter war das verwunderlich: Nur fünf deutsche Beckenschwimmer hatten bei den Spielen das Finale erreicht, Heintz wurde Sechster, sogar mit deutschem Rekord. Doch er hatte größere Ziele, ungeachtet der internationalen Konkurrenz. "Ich bin seit vier Jahren jeden Abend mit dem Ziel eingeschlafen, hier eine Medaille zu holen", sagte er damals, "jetzt haben vier Zehntel gefehlt - das ist scheiße." Er dachte ans Aufhören. Die Zeit, die er nun in Berlin schwamm, hätte in Rio für Silber gereicht, hinter dem Rekord-Olympioniken Michael Phelps (USA).

Heintz macht sich Gedanken über sich und seinen Sport. Nach der verpassten Olympia-Medaille fand er bei sich einige Baustellen, kritisierte aber auch offen die Bedingungen, unter denen er in Deutschland an seinem Traum arbeiten muss. "Mir tut dieses System weh", sagte er damals der Welt am Sonntag, "wer wird denn Vollprofi für 700 Euro im Monat, die von der Sporthilfe kommen? " Bei Olympia träten Kreisligisten gegen Champions-League-Teilnehmer an - also deutsche Athleten, die nebenbei häufig zur Zukunftssicherung studieren müssen, gegen etwa amerikanische Vollprofis, die sich auf ihren Sport konzentrieren können.

"Ich bin einfach nicht gestorben"

Das System hat sich nicht geändert, doch Heintz hat sich ein Umfeld geschaffen, in dem er mehr Profi sein kann. Das Studium tauschte er gegen einen Ausbildungsplatz, der Arbeitgeber garantiert ihm eine Zukunft nach dem Schwimmen - und Freiheiten, um seinen Sport zu betreiben. Kurz nach Olympia ließ der in Heidelberg trainierende Athlet bei den Kurzbahn-Weltcups mit starken Leistungen aufhorchen, wurde WM-Zweiter auf der Kurzbahn. Erfolge, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, ihm aber allein im Weltcup 40 000 Euro Preisgeld einbrachten (doppelt so viel, wie er für Olympiagold kassiert hätte) - und mental für kommende Aufgaben stärken.

"Da ist jetzt Selbstsicherheit", sagte er nach seinem Rekordrennen in Berlin. Noch am Morgen hatte er sich nicht fit gefühlt, er kennt das aus den vergangenen Monaten: "Dann geht man an den Start und sagt sich: Irgendwie wird es schon klappen." Und dann klappte es schon im Vorlauf mit einem deutschen Rekord (1:56,59), "bis zur WM wird es wohl nichts mit der 1:55", sagte Heintz - und wurde später von sich selber überrascht. "Ich bin einfach nicht gestorben", erklärte er die Steigerung auf die neue Weltjahresbestzeit.

Bundestrainer Henning Lambertz sehnt sich nach solchen Ausnahmeleistungen und lobte: "Jetzt gehört er wirklich zum Kreis der ganz Großen und kämpft bei der WM um eine Medaille." Die WM-Normen hat Lambertz verschärft, auch damit will er das deutsche Schwimmen nach dem erneuten Olympia-Debakel wieder konkurrenzfähig machen. Ein neues Krafttrainingskonzept und die Zentralisierung der Trainingsstandorte sorgten für Unruhe unter den Athleten - es sind wie in den vergangenen Jahren ungewisse Zeiten im deutschen Schwimmen. Philip Heintz hat damit leben gelernt

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SZ vom 17.06.2017
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