Süddeutsche Zeitung

Schalkes erster Punktgewinn:Schiedsrichter, Telefon!

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Die Pointe sitzt: Ausgerechnet der Video-Referee rettet Schalke 04 in letzter Sekunde einen Punkt. Für das 2:2 gegen Mönchengladbach muss sich der Aufsteiger trotzdem nicht schämen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der Fahrer des Wagens mit dem amtlichen Kennzeichen DN-KA hatte es besonders eilig gehabt, zum Anpfiff im Stadion zu sein. So eilig, dass er den 60 000 Zuschauern in der Gelsenkirchener Arena ein Lächeln bescherte, als ihn der Stadionsprecher wieder zu seinem Auto zitierte - er hatte den Schlüssel stecken und den Motor laufen lassen. Womöglich hat der hektische Fan aber auch bis zur Pause gewartet, um das Malheur zu korrigieren, denn Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach lieferten sich ein Spiel, das bis in die letzten Sekunden jederzeit farbenfroher und interessanter war, als man unbedingt erwarten durfte. Der Aufsteiger hatte den arrivierten Gast lange Zeit im Griff gehabt und war dem Sieg nicht mehr fern, aber dass er am Ende erleichtert ein 2:2 bejubelte, das verdankte er ausgerechnet dem Video-Gerichtshof, der nach den Vorkommnissen beim Saisonstart in Köln für fundierte Justizverdrossenheit bei den Gelsenkirchenern gesorgt hatte.

Es lief schon die Nachspielzeit, Gladbach führte 2:1 und musste bloß noch eine Minute überstehen, als bei Schiedsrichter Sven Jablonski das Telefon klingelte. Der Kölner Keller hatte sich gemeldet und empfahl dem Spielleiter einen Besuch am Bildschirm, und Jablonski brauchte nicht viel Zeit, um festzustellen, dass Patrick Hermann kurz zuvor bei einer Rettungsaktion im Strafraum ein Handspiel unterlaufen war. Marius Bülter nahm den Ball, schoss ihn überlegt ins Tor, und die Pointe war perfekt. Der VAR hatte Schalke 04 gerettet. Geschämt hat sich trotzdem keiner dafür, die Freude über den am Ende unerwarteten, aber verdienten Punktgewinn war selbstredend tausendmal größer.

Simon Terodde empfand das Gladbacher Handspiel "irgendwie als Geschenk"

Gladbach haderte ein wenig mit dem Entscheid, aber auch nicht allzu sehr, das Handspiel an sich war unstrittig. "Es war ein verdienter Punktgewinn", meinte Torschütze Bülter, "wir sind nach dem Rückstand zurückgekommen und haben den Elfmeter am Ende auch ein bisschen erzwungen." Simon Terodde empfand das Handspiel "irgendwie als Geschenk" - das Schalke dringend brauchen konnte, um einen Fehlstart in den Abstiegskampf zu vermeiden.

Torwart Alexander Schwolow gehörte nach dem Abpfiff zu den glücklichsten Schalkern. Wie in Köln leistete er meistens gute Arbeit, aber eben nicht immer. Wie in Köln entschied er sich einmal zum Eingreifen, als er womöglich besser ferngeblieben wäre. Er bekam im Getümmel den Ball nicht zu fassen - Marcus Thuram drehte sich geschickt und schoss die herrenlose Kugel zum 2:1 ins leere Tor (78.). Schwolows Leiden war nicht zu übersehen.

Vor dem Anpfiff galt es für die Einheimischen zunächst mal, einen alten Bekannten willkommen zu heißen. Der Gast wurde stürmisch begrüßt und, je länger die Partie dauerte, umso schmerzlicher vermisst: Gladbachs Verteidiger Ko Itakura hatte in der vergangenen Saison Königsblau getragen und sich zügig zum Publikumsliebling entwickelt. Aber die sechs Millionen, die sein Bleiben gekostet hätte, konnten die Schalker nicht aufbringen, die Borussen hingegen schon. Itakura hat seinen Platz prompt gefunden, im Gladbacher Deckungszentrum hat er bereits eine tragende Rolle, am Samstagabend gehörte er zu den besten Borussen. Für ihn scheint der Sprung aus der zweiten in die erste Liga nur ein Katzensprung zu sein.

Dass der japanische Verteidiger und seine Nebenleute von Anfang an im Hochbetriebsmodus gefragt waren, schien einige Beteiligte zu überraschen. Gladbach ließ sich von den aggressiv zupackenden und vorwärts orientierten Schalkern überwältigen. S04 profitierte von der Rückkehr seines Erfolgsduos, die eingespielte Kombination Simon Terodde & Marius Bülter gab der Offensive Tempo, Tiefe und Raffinesse. Im Mittelfeld gab der Tscheche Alex Kral den Ton an, er könnte die neue Autorität im Schalker Zentrum werden. Was zum vollendeten Glück fehlte, waren die Tore.

In der zweiten Hälfte gehen die Schalkern allmählich die Kräfte aus, logische Folge ihres hohen Einsatzes

Schalke drängte und brachte sich mit Ballgewinnen immer wieder in gute Ausgangslagen, doch die Schüsse blieben Schüsschen, und bei manchem letzten Pass ließen die Absender Ruhe und Übersicht vermissen. Terodde lag immer auf der Lauer, aber meistens lauerte er vergeblich. Für das 1:0 sorgte Rodrigo Zalazar bezeichnenderweise mit einem Fernschuss, den Yann Sommer womöglich etwas unterschätzt hatte. Die Borussen wurden in der ersten Halbzeit selten gefährlich, lediglich Marcus Thuram brachte gelegentlich Unruhe.

Das Bild blieb in der zweiten Hälfte so lange das gleiche, bis den Schalkern allmählich die Kräfte ausgingen - logische Folge ihres hohen Einsatzes. Terodde und Zalazar mussten gehen, das Spiel änderte die Richtung. Jonas Hofmanns 1:1 (72.) war keine Überraschung mehr, Thurams 2:1 war der Lohn forcierter Bemühungen. Der Aufsteiger schien Lehrgeld zu zahlen, Gladbach mit einem schließlich doch noch coolen Auftritt den positiven Trend zu festigen. Doch dann klingelte beim Schiedsrichter das Telefon.

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