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1:1 gegen Union Berlin:Bei Schalke spielt die Angst mit

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Seit 20 Partien bleibt Schalke 04 in der Bundesliga ohne Sieg. Immerhin holt der Klub gegen Union Berlin einen Punkt - das macht die Sache erträglicher, aber nicht unbedingt besser.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der Stadionsprecher vermeldete eine Premiere in der zwanzigjährigen Geschichte des Stadions: Mit 300 Zuschauern war die Arena auf Schalke restlos ausverkauft, auch Maskottchen Erwin durfte wieder Dienst tun. Dem ausgewählten Publikum wurde durchaus etwas geboten, es gab Spannung, Hektik und wilde Kampfhandlungen bis zum Ende, aber der Schlusspfiff rief trotzdem keinen Jubel hervor. Auch im 20. Anlauf hintereinander blieb Schalke 04 in der Bundesliga ohne Sieg und musste sich beim 1:1 gegen Union Berlin mit einem tendenziell dürftigen Punkt begnügen. Dass es der erste der Saison ist, macht die Sache erträglicher, aber nicht unbedingt besser. Einsatz und Bemühen erfüllten gegen den robusten Gegner die Ansprüche, spielerisch blieb der Auftritt bescheiden. Die Heimpremiere von Manuel Baum ließ somit Raum für Notizen. Im Vergleich mit den vorigen Spielen gab es Fortschritte. Aber man muss Optimist sein, um zu meinen, dass daraus der Geist hervorgeht, der die nach wie vor heftig verunsicherte Mannschaft aus ihrer zähen Krise führen kann.

Als der Schiedsrichter zur Pause pfiff, konnten die Schalker immerhin ein seriöses Erfolgserlebnis vermelden. Erstmals in dieser Saison hatten sie eine Halbzeit ohne Gegentor überstanden. Darauf hat vermutlich niemand mit Sekt angestoßen, aber ein bisschen froh sein durften die Gastgeber schon. Union Berlin wähnte sich drei Mal in der Nähe eines Treffers, dreimal so oft wie die Gastgeber, die sichtlich mit guten Vorsätzen gestartet waren und im Sinne eines konzertierten Forecheckings beflissen jedem Ball hinterherjagten, den die Unioner in ihrer Deckungshälfte austauschten, aber im Vorwärtsgang die üblichen Probleme hatten. Steven Skrzybski und Benito Raman konnten sich auf den Flügeln nicht durchsetzen, Vedad Ibisevic stand im Zentrum auf verlorenem Posten.

Während die Schalker Aufbauspieler mühsam nach Lücken spähten, um Pässe in der Offensive zu platzieren, konnten die Berliner einer gut abgestimmten Ordnung vertrauen, in der jeder Spieler seine Aufgabe kannte. Das brachte zwar auch keinen überlegenen Angriffsdruck hervor, aber schuf Beruhigung für Union-Trainer Urs Fischer. Die Zusammenarbeit seiner Mannschaft funktionierte.

Dass auf der einen Seite die Elf eines Vorjahresaufsteigers stand und auf der anderen die mutmaßlich mindestens doppelt so teure Vertretung eines eingesessenen Ligamitglieds, das ergab im Spielgeschehen nicht den vermeintlich logischen Unterschied. Zumal, da außer elf Profis bei Schalke 04 auch der Faktor Angst mitspielte. Deutlich wurde das in einer Szenenfolge rund um die zwanzigste Minute, in der Union eine Torchance an die andere reihte. In Kurzform: Ein in letzter Sekunde abgeblockter Kopfball von Marius Bülter; ein Rückzieher von Grischa Prömel, den Frederik Rönnow abwehrte; und ein harter Fernschuss von Robert Andrich, den Rönnow kunstvoll über die Latte lenkte. Der dänische Nationaltorwart vertrat erneut den verletzten Ralf Fährmann, und nach Lage der Dinge wird aus der Zwischenlösung wohl eine Dauerlösung werden.

Die Null, die sie als Mini-Trophäe in die Pause getragen hatten, mussten die Hausherren bald preisgeben. Ein Klassiker aus dem Schalker Sündenregister: Niemand hinderte Christopher Trimmel an der Hereingabe vom rechten Flügel, keiner war bei Marvin Friedrich, als dieser in die Flanke lief - 0:1 (55.). Trainer Baum wechselte daraufhin Mittelstürmer und Spielmacher, brachte Goncalo Paciencia für Ibisevic und Amine Harit für Can Bozdogan, und das Bild änderte sich. Schalke schaltete mit dem Mut der Verzweiflung auf Offensive um und wurde zügig belohnt. Auf Skrzybskis Lattenschuss folgte eine Ecke, die Paciencia zum Ausgleich nutzte (69.). Für ein paar Minuten machte sich nun sogar ein konkreter Siegeswille bemerkbar, aber die Berliner wussten damit umzugehen und brachten den Gegner wieder zur Räson.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2020
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