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Schach-WM:Der Weltmeister provoziert

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Bei der Schach-WM in Dubai reizt Titelträger Magnus Carlsen seinen Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi mit ungewöhnlichen Zügen. Das führte bisher zwar noch nicht zum Sieg - aber zu wilden Partien.

Von Johannes Aumüller, Dubai/München

Geheimniskrämerei ist eine wichtige Sache im Schachsport, gerade bei einem WM-Kampf. Über viele Wochen bereiten sich die Kontrahenten mithilfe ihrer jeweiligen Sekundanten und Hochleistungscomputern auf bestimmte Partieabläufe vor, damit sie am Brett besser für gewisse Situationen gewappnet sind als ihr Gegenüber. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Rivale nicht genau weiß, womit man sich vorher beschäftigt hat; und umso mehr Aufregung setzt ein, wenn es auch nur den leisesten Hinweis gibt, aus dem sich womöglich etwas herauslesen lässt.

Als der Weltmeister Magnus Carlsen vor drei Jahren gegen Fabiano Caruana seinen Titel verteidigte, publizierte das Team des Herausforderers einen belanglos erscheinenden Image-Clip über den Ablauf der Vorbereitung. Doch wer genau hinsah, erspähte auf einem Monitor im Hintergrund eine Dateien-Liste, in der Namen von verschiedenen Eröffnungen verzeichnet waren - kurz darauf war das Filmchen wieder verschwunden. Am Sonntagabend erreichte das Thema auch den aktuellen WM-Kampf zwischen dem Norweger Carlsen, 30, und dem Russen Jan Nepomnjaschtschi, 31.

Denn nach dem Ende der dritten Partie (alle Remis) wies ein Fragesteller in der Pressekonferenz darauf hin, dass die gerade zu Ende gespielte Runde schon vor zwei Tagen in einer Online-Datenbank bis zum 20. Zug analysiert worden sei. Das muss zwar nicht zwingend etwas bedeuten, und die beiden Rivalen taten auch prompt so, als schiene sie der Befund eher zu amüsieren. Aber zugleich wirkte es ein wenig so, als würden sie zwischen der anstehenden Dopingkontrolle und dem abendlichen Fernsehprogramm mal checken wollen, wie gerade so die Einstellungen an den Rechnern ihrer Teammitglieder sind.

Unabhängig von diesen Nebengeräuschen ist es freilich auffallend, wie sich Carlsen und seine Helfer auf das WM-Match in Dubai vorbereitet haben. Ganz offenkundig verfolgen sie die Strategie, dass der Norweger seinen Gegner so früh wie möglich unter Druck setzen soll - und das mit eher ungewöhnlichen Zügen, die Nepomnjaschtschi am Brett viel Nachdenkzeit kosten sollen.

Carlsen hat seit 2016 keine reguläre WM-Partie mehr gewonnen

Gleich zum Auftakt, als Carlsen mit Schwarz spielte, versuchte er es in der Spanischen Eröffnung mit einem Springerzug und einem Bauernopfer, was so zwischen Großmeistern noch nie gespielt worden war. Als es zwei Partien später wieder zur Spanischen Eröffnung kam, verhinderte Nepomnjaschtschi dieses Bauernopfer zwar, aber dafür überraschte Carlsen nun mit einer selten gewählten Bewegung des Turms. Und in seiner bisher einzigen Partie mit den weißen Steinen griff Carlsen zu einer Variante, in der er verblüffend früh einen Springer in die fünfte Reihe schob und Nepomnjaschtschi auch keine gute Antwort fand; doch Carlsen patzte später und hatte seinerseits Glück, dass eine komplizierte und wilde Partie mit Remis endete.

Diese Herangehensweise ist im Prinzip keine Überraschung. Seitdem Carlsen vor etwas mehr als einem Jahrzehnt in die Weltklasse vorstieß, galt er als ein Mann, der sich nur ungerne in den ausgetrampelten Pfaden der Eröffnungen bewegt, also den ersten Zügen einer Partie. Stattdessen war es immer schon sein Ansatz, über sogenannte Nebenvarianten ins Mittel- und ins Endspiel zu kommen, in denen er seinen Gegnern überlegen ist. Aber jetzt in Dubai, wo an diesem Dienstag die vierte von maximal 14 Partien stattfindet, scheint Carlsen diesen Ansatz noch einmal besonders ausreizen zu wollen.

Der Norweger verhehlt in diesen Tagen nicht, dass ihm eine Sache schon zu schaffen macht: Zwar ist er nun schon seit 2013 durchgehend Weltmeister, sein letzter Sieg in einer regulären Partie eines WM-Matches liegt aber eine Weile zurück. 2016 war das, als er in der zehnten Partie gegen seinen damaligen Herausforderer Sergej Karjakin ausglich, den er anschließend im Schnellschach bezwang. 2018 gegen Caruana endeten alle zwölf regulären Partien Remis; wieder war Carlsen erst in der Verlängerung erfolgreich. Aber wenn er weiter so provozierende Züge findet wie bei den drei Auftakt-Remisen, dürfte diese Serie in Dubai tatsächlich enden.

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