Süddeutsche Zeitung

Schach in Riga:Rebellen und Großmeister

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Elisabeth Pähtz und Vincent Keymer beweisen, dass es eine positive Entwicklung im deutschen Schachsport gibt - aber Erfolge sind nach langen Querelen auch bitter nötig.

Kommentar von Johannes Aumüller

Es sind erstaunlich erfolgreiche Tage, die der deutsche Schachsport gerade genießen kann. Im Parallelflug haben der beste deutsche Spieler und die beste deutsche Spielerin bei einem sehr stark besetzten Event in Riga das jeweils beste Turnier ihrer Karriere gespielt. Das große Talent Vincent Keymer, 16, besiegte gleich mehrere nominell stärker eingeschätzte Akteure und kam im Männer-Ranking auf Rang fünf. Und die seit vielen Jahren etablierte Elisabeth Pähtz, 36, landete in der Frauen-Wertung auf Platz zwei und darf sich nun als erste deutsche Spielerin "Großmeister" nennen - "Großmeisterin" war sie, diese Kuriositäten des organisierten Schachsports muss niemand verstehen, vorher schon.

Fast durften die beiden deutschen Schachspieler auf noch größere Duelle hoffen

So stark präsentierten sich die beiden, dass ihnen beinahe die Qualifikation für das Kandidatenturnier gelungen wäre; also für jene erlesene Achtergruppe, die traditionell den nächsten WM-Herausforderer ermittelt. Das war nun kein Ausrutscher in Riga, sondern passte zur jüngsten Entwicklung, und insbesondere beim Talent Keymer dürfte es demnächst noch weitergehen in Richtung Weltspitze. Schon lange nicht mehr war die sportliche Situation für den deutschen Schachsport so vielversprechend - aber der deutsche Schachsport hat dies auch bitter nötig.

Denn im vergangenen Jahr hat er diverse unerquickliche Vorgänge produziert. Massive interne Verwerfungen gab es, und das nicht zuletzt rund um Pähtz. Da ging es um eine verworrene Affäre, die auf seltsamen Vorgängen auf ihrem Online-Account fußte, und gegenseitige Mobbingvorwürfe, die dazu führten, dass der Spitzenspieler Georg Meier jetzt für Uruguay antritt. Vor einem Jahr mündeten die Spannungen in eine Debatte um den Bundestrainer Rogozenco und den Umgang des Deutschen Schachbundes (DSB) mit dieser Personalie.

Pähtz war damals im Lager des Rumänen zu verorten. Keymer war zwar kein Wortführer der Rebellen. Aber dass er als anerkannt bester deutscher Akteur nebst elf anderen Spielern damit drohte, bei einem Verbleib Rogozencos nicht mehr für die Nationalmannschaft anzutreten, dürfte für die Verbandsspitze um den Präsidenten Ullrich Krause doch ein gewichtiger Grund für die Trennung gewesen sein. Und apropos Verbandsspitze: Die sah sich nicht nur dem Vorwurf ausgesetzt, diese internen Konflikte nicht angemessen moderiert zu haben. Sondern auch der Klage, dass sie den globalen Schach-Boom, den die Umstände der Corona-Pandemie und die erfolgreiche Netflix-Serie "Das Damengambit" befeuert haben, nicht wirklich zu nutzen wusste.

Zwar spielt der Verband für den einzelnen Sportler im Schach keine so zentrale Rolle wie zum Beispiel in klassischen olympischen Sportarten. Aber der DSB hat nun gleichwohl eine doppelte Aufgabe: ruhige Rahmenbedingungen für sein Spitzen-Duo zu schaffen - und den Schwung, den dessen Erfolge erzeugen, besser zu nutzen als in der Vergangenheit.

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