Süddeutsche Zeitung

Schach:Im Kühlhaus

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Der Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen wird gesucht. Favorit ist für viele Experten der Armenier Lewon Aronjan. Der zog als Jugendlicher nach Berlin, seine Eltern wohnen noch heute nahe der Wettkampfstätte.

Von Johannes Aumüller

An seinen letzten Auftritt bei einem wichtigen Turnier in Berlin hat der Armenier Lewon Aronjan keine guten Erinnerungen. Zweieinhalb Jahre ist es her, da fanden dort die Weltmeisterschaften im Schnell- und im Blitzschach statt, Aronjan war einer der Favoriten. Doch mit dem Titel wurde es in keinem der beiden Turniere etwas, stattdessen musste er sich mit den Plätzen elf beziehungsweise 43 zufriedengeben.

Nun steht das nächste große Turnier in Berlin an - und es soll für Aronjan deutlich besser laufen. Das Kühlhaus in Kreuzberg ist der Ort, auf den die Schachwelt in den nächsten zweieinhalb Wochen schaut. Von Samstag an ermittelt dort ein prominent besetztes Achterfeld in einem sogenannten Kandidatenturnier den nächsten Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen. Über 14 Runden geht es, jeder spielt zweimal gegen jeden, und einen Top-Favoriten gibt es in dem ausgeglichenen Feld nicht. Da ist etwa der Aserbaidschaner Schachrijar Mamedjarow, 22, als aktueller Weltranglisten-Zweiter der nominell stärkste Teilnehmer. Da ist auch Fabiano Caruana, der 25 Jahre alte Italo-Amerikaner, den der Weltmeister selbst als sehr stark einschätzt. Oder Sergej Karjakin, 28, aus Russland, der letztjährige Herausforderer Carlsens, der zuletzt schwächelte, es aber wie kaum ein anderer zu verstehen scheint, im entscheidenden Moment seine stärkste Leistung abzurufen.

Aber der Name, der am häufigsten fällt, wenn es um den Turniersieg geht, ist der von Lewon Aronjan, 35, geboren in Jerewan, der Hauptstadt Armeniens. Schon seit Jahren zählt er zur Weltspitze, derzeit ist er Fünfter der Weltrangliste - und kaum ein anderer Teilnehmer genießt aufgrund seines freundlichen Auftretens so große Sympathien unter den Zuschauern wie der Mann aus dem Kaukasus. Viele Beobachter finden, dass er schlicht an der Reihe sei mit der Qualifikation für einen WM-Kampf. Zudem hat er einen besonderen Bezug zu Berlin: Als Jugendlicher zog er aus Armenien dorthin und lebte einige Jahre unweit der jetzigen Wettkampfstätte; seine Eltern wohnen dort bis heute. Für einige Monate trat er sogar für den Deutschen Schach-Bund (DSB) an. In Ermangelung deutscher Teilnehmer - der nominell beste deutsche Spieler ist derzeit Liviu-Dieter Nisipeanu auf Platz 63 der Weltrangliste - kann Aronjan durchaus eine Art Heimspiel für sich reklamieren.

Zähe Stellungen zu optimieren, ist nicht seine Stärke. Die Nerven zu behalten auch nicht

Die Frage ist nur, ob er den Erwartungen auch gerecht werden kann. Es ist nicht das erste Mal, dass er vor einem Kandidatenturnier hoch eingeschätzt wird. Aronjan gilt als jemand mit einer großen Intuition und als eine Art Künstler am Brett. Nicht umsonst war er schon Weltmeister im Blitz- und im Schnellschach, also in den Disziplinen, in denen es mit Bedenkzeiten von gerade mal fünf oder 15 Minuten pro Spieler um die Siege geht. Und damit in einer erheblich kürzeren Dauer als in den Duellen mit klassischer Bedenkzeit wie jetzt in Berlin, in denen die Protagonisten pro Partie bis zu sieben Stunden am Brett sitzen.

Andererseits ist es just diese intuitive und künstlerische Herangehensweise, die Aronjan manches Mal einen Streich gespielt hat, wie er selbst einräumt. Zähe Stellungen mit etlichen unscheinbaren Zügen zu optimieren, wie es Carlsen oder Karjakin oft demonstrieren, ist nicht seine Stärke. Dazu kommt ein weiteres Problem: Gerade bei den größeren Schachturnieren kam es schon häufig vor, dass er in der zweiten Hälfte Nerven zeigte und den einen oder anderen Patzer einbaute.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2018
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