Süddeutsche Zeitung

Vorwürfe gegen Bundestrainer:Aufstand am Schachbrett

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Nach einer Rücktrittsdrohung von zwölf Spitzenspielern trennt sich der deutsche Schachverband von Bundestrainer Rogozenco - doch erledigt dürften die Querelen damit nicht sein.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es dauert noch ein bisschen, bis die nächsten großen Turniere der deutschen Schach-Nationalmannschaft stattfinden. Wohl im Sommer steht die wegen der Pandemie verlegte Schach-Olympiade an, in der zweiten Jahreshälfte die Mannschafts-EM. Aber die Frage, wer dann für Deutschland spielen könnte und vor allem spielen wollen würde, ist schon jetzt entscheidend für große Turbulenzen.

In Deutschlands Spitzenschach gärt es seit geraumer Zeit, in dieser Woche kulminierte die Angelegenheit: Am Samstag kündigten zwölf der insgesamt 21 Spieler aus den beiden höchsten Kadergruppen in einem offenen Brief an, nicht mehr fürs Nationalteam zu spielen, falls Bundestrainer Dorian Rogozenco im Amt bleibe. Am Montagabend teilte der Deutsche Schachbund (DSB) mit, dass sich Präsidium und Bundestrainer in beiderseitigem Einvernehmen trennen würden. Doch erledigt dürften die Querelen damit noch nicht sein. Die Führung des Verbandes um Präsident Ullrich Krause (seit 2017 im Amt) wird in der Schachszene schon länger kritisiert, bei der Wahl im Vorjahr gab es auch einen Gegenkandidaten.

Konfliktherde existieren reichlich, aber dass es nun in dieser Form die Nationalteams erreicht, ist eine neue Dimension. Rogozenco war seit 2014 Bundestrainer, zuständig für Männer und Frauen. "Es gab immer wieder einzelne Problemfälle, und das Präsidium hat jedes Problem einfach ausgesessen und ignoriert", sagt Georg Meier, einer der besten deutschen Spieler und Initiator des Protestbriefes, der SZ: "Solange das Einzelfälle waren, konnten die Spieler nichts tun. Aber in diesem Jahr sind so viele Konflikte auf einmal aufgetreten, dass der Präsident und der Bundestrainer viele Spieler gegen sich hatten und wir einfach reagieren mussten." Erst habe man intern eine Lösung gesucht, und als das nicht funktionierte, sei die öffentliche Boykott-Drohung erfolgt.

Dabei geht es nach Darstellung Meiers und anderer Kaderspieler insbesondere um drei Punkte. So soll Rogozencos Verhalten vor allem den Spielerinnen gegenüber oft respektlos gewesen sein. Zwar gab es zwischendurch einen sogenannten Teamkapitän, der für das Frauen-Team zuständig sein sollte; aber die konkrete Aufstellung übernahm doch wieder Rogozenco. Daneben waren die Spieler verärgert, weil Rogozenco vor den German Masters auf Verbandskosten ein Spezialtraining für den ihm nahestehenden Kaderspieler Liviu-Dieter Nisipeanu organisierte - und das just vor einem Turnier, bei dem er gegen die eigenen Kader-Kollegen antrat.

Das, so findet Meier, gehöre sich nicht. Das Spezialtraining kostete insgesamt zirka 4000 Euro, weil ein Spieler aus der Weltspitze als Trainingspartner bestellt war. Vor wenigen Wochen trat daraufhin der Leistungssportreferent des Schachbundes zurück, weil er bemängelte, dass diese Ausgaben nicht mit ihm abgesprochen seien.

Punkt drei schließlich ist ein Vorgang rund um die Online-Olympiade im August. In Kurzform geht die etwas komplizierte Causa so: Kurz vor dem Turnier gab es Aufregung um einen Online-Account der Top-Spielerin Elisabath Pähtz, die nicht zu den Unterzeichnern des Briefes gehört. Der Account wurde wegen Verdachts auf Schummelei gesperrt; Pähtz sagte, sie habe damit nichts zu tun, aber ein Bekannter Zugriff gehabt. Zwei Spieler wollten bis zu einer ordentlichen Klärung der Vorwürfe nicht zusammen mit Pähtz in einem Team spielen. Zunächst folgte der Bundestrainer dem auch, doch am letzten Spieltag waren die beiden Spieler draußen - und Pähtz drin.

Rogozenco äußert sich auf Anfrage nicht. In der Mitteilung des Verbandes sagt er nur: "Auch wenn es am Ende zu manchen Konflikten kam, wünsche ich allen nur das Beste für ihre weitere schachliche Entwicklung." Präsident Ullrich Krause reichte eine Anfrage an Geschäftsführer Marcus Fenner weiter. Der wiederum formuliert keinerlei Kritik an Rogozenco. Man habe sich "eine interne Lösung des Konfliktes gewünscht", sagt er.

Zu den Vorwürfen bezüglich Rogozencos Umgang mit Spielerinnen will er nichts sagen. Die Aufstellung bei der Olympiade sei Sache des Bundestrainers. Und rund um das 4000 Euro teure Spezialtraining für Nisipeanu sieht Fenner kein Fehlverhalten. "Wir haben den Umgang mit den Kosten geprüft, er hat sich da nichts zuschulden kommen lassen", sagt er: "Das war auch keine Vorbereitung für das Turnier, das zeitnah stattfand, sondern der Termin ergab sich aus der Verfügbarkeit des Trainingspartners." Bei Spielern der Weltspitze sei es nicht einfach, einen Termin zu finden.

Es erscheint zweifelhaft, dass nun Ruhe einkehrt. Die Spieler drängen auf andere Strukturen. Die Frauen fordern einen eigenen Bundestrainer. Georg Meier plädiert dafür, dass es gar keinen fest angestellten Bundestrainer mehr gibt - sondern nur Unterstützung für die großen Turniere. Der Verband will mit den Spielern bald darüber diskutieren. Aber längst geht es nicht mehr nur um die Bundestrainerrolle. Die Kritik der Spieler richtete sich ja auch massiv an das Präsidium um dessen Chef Krause, weil dieses die Probleme ignoriere und auszusitzen versuche. Da scheint viel Vertrauen verloren gegangen zu sein, und es ist die Frage, ob nicht noch jemand Verantwortung übernehmen muss für die jüngste Eskalation.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2020
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