Süddeutsche Zeitung

SC Freiburg:Mit List und Instinkt

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Der Sportclub festigt auch gegen Werder Bremen seine famose Startbilanz - vor allem dank des ehemaligen Werder-Torjägers Nils Petersen.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Nils Petersen mag Bremen noch immer. "Es war mal meine Heimat", sagte der im Harzstädtchen Wernigerode geborene Torjäger am Samstag. Zwischen 2012 und Januar 2015 war das, 18 Tore schoss er in dieser Zeit für den SV Werder, bevor ihn der damalige Trainer Viktor Skripnik auf die Reservebank setzte. Seitdem ist Freiburg seine Heimat. Und in dem schönen Schwarzwaldstädtchen abseits der großen Klubs - Petersen selbst spielte 2011/2012 einmal wenig erfolgreich für den FC Bayern - nahm seine Karriere Fahrt auf. Er gewann in Rio de Janeiro 2016 Olympia-Silber, Bundestrainer Joachim Löw stellte ihn in zwei Länderspielen auf und hätte ihn fast für die WM 2018 in Russland berufen. Und am Wochenende schoss er seine Bundesliga-Tore 68 und 69 für den kleinen Klub, der nach zehn Spieltagen punktgleich ist mit dem FC Bayern.

Die Treffer gegen die alten Freunde erzielte er mit einer Mischung aus Glück und Stürmer-Instinkt. Beim Ausgleich in der 28. Minute, der das 1:0 durch Werders quirligen Außenspieler Milot Rashica egalisierte, profitierte Petersen vom Pech des Bremer Keepers Jiri Pavlenka, der ihm ein Zuspiel von Ömer Toprak in die Beine spielte. "Das", mutmaßt Petersen, "wird ihm nie wieder passieren." Und beim 2:2 in der dritten Minute der Nachspielzeit, als Werder nach einem Kopfballtor von Theodor Gebre Selassi (59.) fast schon gewonnen zu haben schien, schlich Petersen sich bei einem Freistoß von Christian Günther in den Rücken von Toprak und erzielte aus kurzer Entfernung noch den Ausgleich.

Die Cleverness, wie Petersen dabei seine Abseitsstellung im rechten Moment auflöste, war das eine. Das andere war die List der eingewechselten Mike Frantz, Chang-hoon Kwon und Brandon Borrello, Freistöße in Strafraumnähe "herauszuholen", wie Verteidiger Dominique Heintz anmerkte. Die Freiburger kannten ja die große Schwäche der Bremer, die Standardsituation. Werder hatte vor dem Freiburg-Spiel nach Freistößen und Eckbällen schon acht Gegentore in dieser Saison kassiert. Trainer Florian Kohfeldt war nach dem fünften Unentschieden in Serie und dem nun neunten Standard-Gegentor verzweifelt: "Ich bin mega unzufrieden, dass wir das nicht lernen", zürnte er. Es sei zwar erneut ein "tolles Spiel" gewesen, aber so komme man in der Tabelle nicht voran. "Ich rezitiere Leo Bittencourt", entfuhr es Kohfeldt: "Lieber mal scheiße spielen und gewinnen."

Es gab neben Petersen freilich noch einen zweiten Mitarbeiter des Tages auf Freiburger Seite: den bisherigen Ersatztorwart Mark Flekken, der in 95. Minute einen Kopfball von Toprak am Überqueren der Linie hinderte. Schon vorher hatte er mehrmals gegen Rashica, Bittencourt und erneut gegen Toprak gerettet. Als er seinen Beitrag zum Punktgewinn kommentieren wollte, wurde er aber von einer Mitarbeiterin aus dem SC-Presseabteilung in die Kabine beordert. Man wollte offenbar verhindern, dass der 26 Jahre alte Niederländer erneut den Kampf um den Platz im Tor ausruft. Schon nach dem 2:1 gegen Leipzig, als Flekken den verletzten Stammkeeper Alexander Schwolow exzellent vertreten hatte, hatte er angemerkt, er werde seinen Platz im Tor "sicher nicht freiwillig räumen".

So etwas gefällt Coach Christian Streich gar nicht, obwohl der verneinte, dem Torwart ein Redeverbot erteilt zu haben. Zudem stehe noch nicht fest, ob der genesene Schwolow gegen Frankfurt ins Tor zurückkehren werde. "Bei den Torhütern blicke ich nicht so durch", behauptete Streich mit einem Schmunzeln. Erst komme Torwarttrainer Andreas Kronenberg mit seinem Urteil, "und dann komme ich". Zumindest wird der Kampf um die Nummer eins ebenso wie um die anderen Positionen im Team immer enger. Streich lobte jedenfalls den Unterschied zum vergangenen Jahr. Nun habe er mehr Breite im Kader. Spieler wie der überzeugende Roland Sallai hätten lange auf eine Startelf-Nominierung warten müssen, obwohl sie gut trainiert hätten.

Ob die Freiburger nach dem besten Saisonstart ihrer Vereinsgeschichte weiter oben mithalten können, ist für Streich aber offenbar kein Thema. Da sei er Realist und gucke weiterhin nur, wer von den derzeit in der Tabelle unter dem SC stehenden Teams sich Punkte beschaffe. Dass die Frankfurter jetzt als Verfolger ins Breisgau kommen, nannte er "absurd". Immerhin sagte Kapitän Günter: "Wir sind gerne das Überraschungsteam. Wenn wir bis zu Winterpause noch ein paar Punkte holen, dann können wir über andere Dinge reden - glaube ich."

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Quelle:
SZ vom 04.11.2019
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