Süddeutsche Zeitung

Saisonstart der Premier League:Wie Englands Fußball überdreht

Lesezeit: 3 min

Von Raphael Honigstein, London

Anders als in den Jahren zuvor fand die offizielle Eröffnung der Premier-League-Saison diesmal nicht in einem Luxushotel an der Park Lane statt, sondern in einer Sportanlage im Südlondoner Viertel Wandsworth. Das Grün des mit Mitteln von Verband und Liga finanzierten Kunstrasens, auf dem der FC Chelsea ein wöchentliches Fußballtraining für Schüler eines Gymnasiums organisiert, sollte die gesellschaftliche Verantwortung der 20 Eliteklubs symbolisieren.

1,4 Milliarden Euro, versprach Premier-League-Geschäftsführer Richard Scudamore, wolle die Liga bis 2018 in die "Grass Roots" stecken, den auf der Insel seit langem maroden Nachwuchs- und Breitensport. Die Summe wirkt imposanter, als sie ist: Sie beinhaltet neben den laufenden Ausgaben für die Jugendförderung auch Solidarzahlungen für Absteiger und für unterklassige Ligen.

Geld! Die Premier League wird als mit Abstand erfolgreichste Liga der Welt automatisch darauf reduziert. Nicht nur in den Augen von FC-Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge ("Die Engländer überholen uns gerade links und rechts") hat die sich unablässig selbst verstärkende finanzielle Kraft der Briten ein alarmierendes Ausmaß erreicht.

Überhitzte Ablösesummen und Gehälter - aktuell zum Beispiel für einen Jungnationalspieler wie Manchester Citys Zugang Raheem Sterling (20 Jahre, 16 Länderspiele, 65 Millionen Euro Ablöse, Jahressalär 14 Millionen Euro) - vertragen sich auch nach dem Geschmack der Einheimischen nicht so recht mit der kalten "Wir alle müssen im Rahmen unserer Möglichkeit leben"-Rhetorik von Premier David Cameron. Der hat jüngst eine gewaltige Kürzung der Sozialausgaben verfügt.

Er selbst könne ja gar nichts für den wahnwitzigen Boom des Produkts, erklärte Scudamore, 55, vor dem Liga-Auftakt an diesem Samstag: "Es ist nicht meine Show, sondern die der Vereine. Sie investieren und liefern die bestmögliche Show ab."

Das Geschäftsmodell des "goldenen Kreislaufs" - teure Stars machen die Premier League zum Verkaufsschlager, die Erlöse locken immer mehr Stars an - funktioniert nach einer kurzen Verschnaufpause zur Zeit der Bankenkrise besser als je zuvor. 4,58 Milliarden Euro haben die englischen Erstligisten 2013/14 umgesetzt, fast zwei Milliarden mehr als die 18 Bundesligisten (2,45 Milliarden) in derselben Zeit. Durchschnittliche Premier-League-Klubs hatten so bereits vor zwei Jahren in etwa 100 Millionen Euro mehr zur Verfügung als vergleichbare Klubs in Deutschland.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in Anbetracht des Ungleichgewichts im deutschen Oberhaus von "Angst" und "Ausverkauf" die Rede ist. Die lange bevorzugt in Frankreich wildernden Premier-League-Klubs haben spätestens nach der WM 2014 die Bundesliga als relativ preisgünstigen Selbstbedienungsladen entdeckt. Englands Kaufrausch kommt dabei aber nicht allen ungelegen. Die 25 Millionen Euro, die Meister FC Chelsea dem Vernehmen nach bald für den Augsburger Linksverteidiger Abdul Rahman Baba zu zahlen gewillt ist, sind für die Londoner ein Schnäppchen - finanzieren den bescheidenen Fugger-Städtern aber ein Jahr lang quasi die komplette Belegschaft.

Viele deutsche Klub-Manager macht die veränderte Lage dennoch nervös, sie fürchten um den Fortbestand der wirtschaftlichen Balance in der Bundesliga. Denn wenn ein Mittelklasse-Verein wie aktuell Hoffenheim vom FC Liverpool 41 Millionen Euro für den Brasilianer Roberto Firmino kassiert, ändert das die Möglichkeiten solcher Vereine schlagartig. Generell aber können kleinere und mittlere Vereine ihre besten Spieler künftig wohl noch schwerer halten.

So werden im nationalen Vergleich Spitzenvereine ohne eigenes Dazutun noch stärker - weil sie ihren Kickern gute Gehälter sowie die Aussicht auf Titel und Champions-League-Teilnahmen bieten können. Damit können sie ihre Kader grundsätzlich besser gegen die Reichen von der Insel verteidigen. Andererseits wird der Druck der britischen Geldwelle auch auf deutsche Branchenführer wie den FC Bayern, Dortmund, Schalke, Wolfsburg und Co. im Sommer 2016 gehörig zunehmen. Denn dann tritt auf der Insel ein Fernsehvertrag in Kraft, der alle bekannten Dimensionen sprengt.

Verrückter Markt: 65 Millionen Euro kostete Sterling (M.), der bei City 14 Millionen Euro im Jahr verdienen soll (20 Jahre, 16 Länderspiele, ein Tor).

Den Bundesligisten ist das nicht geheuer: "Die Engländer überholen uns gerade links und rechts", sagte Bayerns Karl-Heinz Rummenigge kürzlich.

Für die Kleinen ist Englands Finanzmacht Chance und Risiko zugleich: 25 Millionen Euro zahlt Chelsea wohl für Augsburgs Abdul Rahman Baba (l.),...

...für Firmino (l.) strich Hoffenheim 41 Millionen Euro ein. Das ändert die Möglichkeiten solcher Vereine schlagartig - und rüttelt am Gleichgewicht.

Die Spirale dreht sich weiter: Ab der Spielzeit 2016/17 wird die Premier League etwa das Dreifache der Bundesliga aus TV-Rechten erlösen.

Aktuell bewegt sich der Umsatzvorsprung der Engländer noch im Rahmen. Schon vor 20 Jahren nahm die Premier League etwa das Doppelte der Bundesliga ein. Ab 2016/17 aber sprudeln zwei Quellen wie nie zuvor. Quelle 1: Der Pay-TV-Sender Sky und der konkurrierende Staatsbetrieb British Telecom teilen sich für zusammen knapp 2,5 Milliarden Euro pro Saison die Live-Rechte. Quelle 2: Aus der weltweiten Vermarktung der global hofierten Liga kommen geschätzt weitere 1,5 Milliarden Euro hinzu. Die Premier League wird also über mehr als dreimal soviel Geld wie die Bundesliga verfügen. Selbst Ligazwerge wie Norwich City verdienen dann 200 Millionen Euro nur mit Fernsehrechten - kaum weniger, als europäische Großklubs wie Dortmund oder der AC Mailand in allen Geschäftsbereichen umsetzen. Auch auf den traditionellen englischen Hang zur Kapitalvernichtung durch schlechte Transfers wird sich die Bundesliga kaum mehr verlassen können. Immer mehr kleinere Klubs wie der FC Southampton oder Swansea City setzen ihre Mittel clever ein. Und die Spitzenklubs wirtschaften - mit Ausnahme von Manchester City, dem Spielzeug von Scheich Mansour aus Abu Dhabi - ebenfalls mit mehr Vernunft. Es könnte zwar noch ein, zwei Jahre dauern, aber ein Comeback der Dominanz englischer Klubs in der Champions League dürfte unaufhaltsam sein. Hat doch der goldene Kreislauf "Geld - Fußball - Geld" im Königreich dank der neuerdings vehement auf Fußball-Inhalte fokussierten British Telecom auch die Champions League erfasst. Das Unternehmen zahlt ab dieser Saison 420 Millionen pro Saison für diese Spiele - mehr als doppelt so viel wie Sky in den drei Jahren zuvor. Wer davon profitiert? Natürlich besonders die vier Starter der Premier League. Die Reichen werden immer reicher.

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SZ vom 08.08.2015
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