Süddeutsche Zeitung

Fußball:Bei der EM drohen heikle Konstellationen

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Von Johannes Aumüller

Wenn sich am 30. November Europas Fußball-Szene in Bukarest versammelt, dürfte es ratsam sein, neben Trainern und Verbandschefs auch ein paar Professoren für angewandte Mathematik mitzunehmen. Die Gruppen-Auslosung für die in zwölf Ländern ausgetragene EM 2020 findet dann statt, und die ist aus vielen Gründen kompliziert. Weil sie natürlich berücksichtigen muss, dass Teilnehmer aus einem der zwölf Gastgeber-Länder im jeweiligen Heimatland Gruppenspiele absolvieren sollen; weil vier Teilnehmer dann noch gar nicht feststehen, sondern erst in der sogenannten Play-off-Runde im März ermittelt werden; und weil es sogar so sein kann, dass sich ein Gastgeberland erst über diesen Umweg qualifiziert. Laut Uefa ist daher denkbar, dass es sogar mehrere Auslosungen gibt.

Aber zu all diesen technischen Vorgaben kommt noch eine weitere heikle Einschränkung: eine politische. Seit Wochenbeginn ist klar, dass Russland und die Ukraine mit dabei sind. Aber sie dürfen aus politischen Gründen nicht in derselben Vorrundengruppe landen - einen solchen Vorgang gab es bei einer EM noch nie.

Europas Fußball erlebt in diesen Tagen ohnehin mal wieder eine immense Politisierung. Bulgariens Verband droht nach den rassistischen Vorfällen gegen England eine drakonische Strafe. Um die Militärgrüße türkischer Spieler während der Partien gegen Albanien (1:0) und Frankreich (1:1) kümmert sich die Uefa-Disziplinar-Kommission. Und nun intensiviert sich auch noch das Russland/Ukraine-Thema.

Der Umgang mit politisch heiklen Duellen beschäftigt die Verbände schon geraume Zeit. Bei der Uefa gibt es inzwischen fünf Konstellationen, in denen sie ein Aufeinandertreffen von Vertretern zweier bestimmter Länder ausschließt - "aus politischen und/oder Sicherheitsgründen", wie es heißt. Duelle zwischen russischen und ukrainischen Teams zählen seit Juli 2014 dazu, nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und dem Kriegsbeginn in der Ostukraine.

Ab der K.-o.-Runde können Russland und die Ukraine aufeinandertreffen

Das Verbot gilt für alle Wettbewerbe, egal ob Klubs oder Nationalteams. Das führte bereits bei der Champions League zu verzerrten Auslosungen. Nun ist dies erstmals bei einer EM-Endrunde der Fall. Wobei diese Regel gemäß des Beschlusses des Uefa-Exekutivkomitees nur für die Vorrunde gilt. Ab der K.-o.-Runde können Russland und die Ukraine aufeinandertreffen - und es ist sogar denkbar, dass die Ukraine in Sankt Petersburg antreten muss. Die russische Metropole ist einer der zwölf Spielorte, und nach der Gruppenphase ist dort immerhin noch ein Viertelfinale angesetzt. Aber an den politischen Begleitumständen, die das Treffen in der Vorrunde noch ausschließen, wird sich bis zum Viertelfinale ja eher wenig ändern.

Womöglich bleibt die Causa Russland/Ukraine auch nicht die einzige politisch heikle Konstellation, die die Uefa berücksichtigen muss. Denn auch Kosovo hat gute Chancen, sich überraschend zu qualifizieren: In der Gruppe A liegt es nur einen Zähler zurück, und bei den Play-offs im Frühjahr ist es sicher dabei. Doch Kosovo, das vor gut einem Jahrzehnt seine Unabhängigkeit von Serbien proklamierte, ist zwar seit Frühjahr 2016 Mitglied in der Uefa, aber nicht bei den Vereinten Nationen. Zirka 40 Prozent der UN-Mitglieder erkennen das Zwei-Millionen-Einwohner-Land auf dem Balkan nicht an, darunter sind auch vier Gastgeber-Nationen des EM-2020-Turniers: Aserbaidschan, Rumänien, Russland und Spanien. Dort müssten dann also gegebenenfalls die Flagge und die Hymne des Kosovo zu sehen und zu hören sein. Zudem ist es laut Uefa-Beschluss auch ausgeschlossen, dass Kosovo gegen Serbien und Bosnien-Herzegowina spielt - und die Nationalmannschaften dieser beiden Länder können sich ebenfalls noch fürs EM-Turnier qualifizieren.

Zum jetzigen Zeitpunkt will die Uefa dazu noch nichts näheres sagen. Die finale Form der Auslosung werde vom Dringlichkeitsausschuss entschieden, wenn alle Teilnehmer feststehen, heißt es - wenn es denn vor lauter Vorgaben dann überhaupt noch viel auszulosen gibt.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2019
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