Süddeutsche Zeitung

Manchester United:Ronaldo-Tore zu einem hohen Preis

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Cristiano Ronaldo hadert mit seiner Lage bei Manchester United, doch der neue Trainer Erik ten Hag erklärt ihn für unverkäuflich. Das Rollenverständnis des Portugiesen wird immer mehr zum Problem.

Von Jonas Beckenkamp

Wohin zieht's einen, der über seine Zukunft brütet, während die Welt sich weiterdreht? Cristiano Ronaldo, 37, hat zuletzt versucht, diese Frage für sich zu beantworten, und er kam zu einem eindeutigen Schluss: Es zog ihn jedenfalls nicht nach Thailand, wo sein Arbeitgeber Manchester United derzeit eine Werbetour absolviert. Während sein Klub durch Asien und anschließend sogar bis nach Australien tingelt, hat es den früheren Weltfußballer offenbar nach Hause verschlagen.

Dem Vernehmen nach parkte Ronaldos Rolls Royce kürzlich daheim in Lissabon vor dem Trainingszentrum der portugiesischen Nationalelf, wegen "familiärer Gründe" verzichte der Vater von fünf Kindern aktuell auf Dienstreisen, hieß es. Doch wenn einer wie er sich mitten in der Saisonvorbereitung zurückzieht, dann raunt die Branche natürlich: Schmollt Ronaldo? Hört er auf? Oder ist seine Saudade, seine Sehnsucht, auf ein letztes Abenteuer auf bisher noch nicht erobertem Terrain ausgerichtet?

Nach einem schalen Jahr in Manchester, in dem Ronaldo für seine Verhältnisse eher irdisch performte (18 Ligatore), scheint er ins Grübeln gekommen zu sein. Mit 37 soll er sich laut englischer Medien nur schwer damit anfreunden, in der neuen Saison mit United in der Prärie der Europa League anzutreten. Dazu kommen die eher dezenten Aktivitäten seines Vereins auf dem Transfermarkt. Während die Konkurrenz schon Attraktionen wie Raheem Sterling (zu Chelsea), Darwin Núñez (nach Liverpool) oder Erling Haaland (zu ManCity) rangeschafft hat, ist die bislang einzige sichere Akquise bei United Tyrell Malacia, ein Abwehrspieler von Feyenoord Rotterdam.

Auch dem FC Bayern wurde Ronaldo offenbar angeboten

Das Magazin The Athletic stellte die Lage so dar: Ronaldos Rückkehr im Vorjahr nach Manchester, an den Anfangsort seiner Heldenreise, sei bereits wieder vorbei, bevor die Mission richtig Fahrt aufnehmen konnte. Sein Berater Jorge Mendes gab United zu verstehen, dass Ronaldo "gehen will, sollte er ein passendes Angebot erhalten". Dies ist freilich einer eher einseitige Darstellung, denn in Wahrheit sondiert die Ronaldo-Seite wohl selbst aktiv den Markt. So wurde der Stürmer offenbar auch dem FC Bayern angeboten, was die Münchner stirnrunzelnd ablehnten. "So sehr ich Cristiano Ronaldo als einen der Größten schätze: Ein Transfer würde nicht in unsere Philosophie passen", erklärte Vorstandschef Oliver Kahn im Kicker.

Diese Aussage führt zum Kern der Personalie, denn es stellt sich die Frage, in welche und in wessen "Philosophie" Ronaldo mit 37 überhaupt noch passt. Denn auch vor einem Athleten wie ihm macht die Zeit nicht Halt, zuletzt war er keiner mehr, der auf dem Platz alles alleine richten konnte. In der Spätphase seiner Karriere liefert der Portugiese Tore nur noch zu einem hohen Preis: Er funktioniert, wenn das gesamte Team auf ihn ausgerichtet ist, wenn etwa sein weitgehender Verzicht auf Teilnahme am Pressing Akzeptanz findet. Diese Erfahrung machte unlängst bei United auch Interimstrainer Ralf Rangnick, der Ronaldos Freigeistigkeit anprangerte.

Wohin also mit einem, dessen Rollenverständnis zum Problem geworden ist? Vielleicht heißt die Antwort ja: nirgendwohin. Denn in Manchester wirken sie entschlossen, ihren Berühmtesten im Kader zu behalten. Sowohl der neue Klubboss Richard Arnold als auch der gerade gestartete neue Coach Erik ten Hag wählten zuletzt den Weg der einfühlsamen Deeskalation. Der Verein gewährte Ronaldo das Fernbleiben vom Trainingsbeginn, und zu Wochenbeginn wagte dann ten Hag eine Charmeoffensive.

"Wir planen in dieser Saison mit Cristiano, und damit hat sich das", ließ der Niederländer auf einer Pressekonferenz wissen, "ich freue mich darauf, mit ihm zu arbeiten." So versucht United, Gerüchte über einen Abschied Ronaldos - etwa nach Neapel, zu Chelsea oder gar in ein noch mächtigeres Allstarteam von Paris Saint-Germain (neben Messi, Neymar und Mbappé) - zu entkräften. Ten Hag habe, hieß es, vor Bekanntwerden von Ronaldos Abschiedsgedanken ein "wirklich gutes Gespräch" mit dem Stürmer gehabt, dort sei dessen Unzufriedenheit kein Thema gewesen. Für den Trainer ist klar: "Cristiano steht nicht zum Verkauf, er ist Teil unserer Pläne, und wir wollen zusammen Erfolg haben."

Um Ronaldo endlich wieder ein fähiges Team an die Seite zu stellen, will United nun auch bei Transfers vorwärts kommen. Nach dem zu Wochenbeginn bestätigten Weggang von Paul Pogba zu Juventus Turin verhandelt die Klubführung derzeit angeblich in Barcelona über einen Kauf von Frenkie de Jong. Das Problem: Der Niederländer will Barça gar nicht verlassen. Und ob die von United geplanten Transfers des Dänen Christian Eriksen (Brentford) und des Argentiniers Lisandro Martínez (Ajax) als Verstärkungen genügen, ist fraglich. Cristiano Ronaldo dürfte seine Zweifel haben.

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