Süddeutsche Zeitung

Regionalliga-Meister 1860 München:8000 Semmeln für das "Spiel des Lebens"

Lesezeit: 3 min

Von Christoph Leischwitz, Pipinsried

Es hatte sehr lange nichts mehr zu feiern gegeben für die Fans des TSV 1860 München. Da war es nicht verwunderlich, dass in der 88. Minute, als Sascha Mölders das 3:0 gegen den FC Pipinsried erzielte, die Fans ihre Freude herausbrüllten. Sie feierten die Meisterschaft, die erste für den Verein seit 1993. Und das Ereignis passte perfekt zum Szenario an diesem vorletzten Spieltag: Die Löwen spielten ja im ländlichen Pipinsried mit seinen 580 Einwohnern, aber eben mit gut 5000 angereisten Sechziger-Fans.

Der Klub hatte für ein dickes Zuschauerplus in der Regionalliga Bayern gesorgt. Und dann qualmte es und roch nach Feuerwerk, die Anhänger stürmten den Rasen, und nachdem sich Polizei und Offizielle mit dem Platzsturm abgefunden hatten, spielte auch die für diesen Nachmittag engagierte Rock ´n` Roll-Band noch einmal AC/DC und andere Mitgröl-Songs. "Jetzt ist es finalisiert. Als wir im Sommer angefangen haben, waren wir bei Null. Das, was die Mannschaft geleistet hat, ist à la bonne heure", sagte ein sichtlich erleichterter Trainer Daniel Bierofka, der wenig später eine Bierdusche von Sascha Mölders über sich ergehen lassen musste.

Gastgeber Pipinsried deklariert die Partie als "Spiel des Lebens"

Ende Mai des vergangenen Jahres waren die Sechziger mit einem teuren Kader aus der zweiten Bundesliga abgestiegen - und dann in die vierte Liga durchgereicht worden, weil Investor Hasan Ismaik die nötigen Finanzmittel für eine Lizenz in der untersten Profiklasse nicht erbringen wollte und der Verein selbst nicht konnte. Die meisten Spieler verließen daraufhin den Klub, Trainer Bierofka baute eine Mannschaft um seinen U21-Kader auf und konnte Ex-Profis wie Mölders, Jan Mauersberger und Timo Gebhart für das Team gewinnen, das nun in der Amateurliga antrat. Schnell war ein Punktepolster herausgespielt. Und obwohl die Mannschaft seit der Winterpause nicht immer souverän spielte, so war schon früh klar, dass dem Traditionsklub die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen ist. Trotzdem war nun die Erleichterung groß, als sie amtlich wurde.

In Pipinsried hatten sie die Partie gegen die Sechziger recht pathetisch als "Spiel des Lebens" deklariert. Es wurde zumindest ein Spiel, das alles bisher Dagewesene in dem kleinen Örtchen im Dachauer Hinterland in den Schatten stellen sollte. Ein Großteil der Bevölkerung beging den Tag in Fußballtrikots auf den heimischen Terrassen, den anreisenden Fans zuprostend. Passenderweise hatte die Mannschaft 46 Stunden zuvor, mit einem 1:1 beim SV Schalding-Heining, den Klassenverbleib gesichert. "Wir haben das genossen heute", sagte Spielertrainer Fabian Hürzeler, der gegen 1860 demonstrativ nicht spielte und andere genießen ließ.

Die vielen Helfer hatten die Partie monatelang geplant, 8000 Semmeln geschmiert und für 120 Security-Bedienstete gesorgt. Sie hatten auch den abschüssigen Acker auf der Nordostseite ihres Stadions in eine "Naturtribüne" für 5000 Gästefans verwandelt, mit kurzfristig in den Boden geschlagenen Wellenbrechern aus Holz und jeder Menge Rindenmulch, gesäumt von 32 Dixi-Klos und jeder Menge Getränkestände.

Erst kommt die Relegation, dann die Budgetverhandlungen

Das Spiel wurde dem pittoresken Szenario zunächst nicht gerecht. Torchancen gab es lange nicht. So passte das Spiel zur Leistung der Sechziger in den vergangenen Wochen: verhalten, aber effizient. Nach 23 Minuten traf Sechzigs Daniel Wein zur Führung. Erst in der Nachspielzeit fiel der zweite Treffer: Nico Karger konnte mühelos zu seinem 14. Saisontreffer einschieben. Auch in der zweiten Halbzeit hielt Pipinsried, das wegen Terminengpässen das vierte Spiel innerhalb von acht Tagen absolvierte, gut mit. Und es wurde auch noch einmal kurz hektisch, Pipinsrieds Co-Trainer Marco Krammel wurde nach einer Handgreiflichkeit am Seitenrand aus dem Innenraum verwiesen, von der Naturtribübe aus flog ein Bierbecher aufs Feld. Doch es blieb friedlich, auch wenn die Polizei nicht erfreut war über den Platzsturm gleich nach dem Schlusspfiff.

Als es unten auf dem Platz allmählich ruhiger wurde, stürmten die Spieler plötzlich aus der Kabine, Kodjovi Koussou hielt einen Ghetto-Blaster in der Hand, das Team tanzte auf der Eisstockfläche des FC Pipinsried von 1967.

Außer der Meisterschaft ist freilich noch nicht viel gewonnen. Am 24. und 27. Mai tritt 1860 in zwei Aufstiegsspielen gegen den 1. FC Saarbrücken an, und auch im Falle des Aufstiegs herrscht immer noch Unklarheit darüber, mit welchem Etat die Mannschaft ausgestattet wird: Eine Aufsichtsratssitzung am vergangenen Montag brachte keine Ergebnisse auf die Frage, in welchem Umfang Investor Ismaik diesmal bereit ist, die Mannschaft zu unterstützen. Die Zukunft ist ungewiss, die Meisterfeier war nur für den Moment. Aber diese Feiern sind ja oft die besten.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2018
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