Süddeutsche Zeitung

Viktoria Rebensburg:"Grundsätzlich sehr happy über die Silbermedaille"

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Knuth, Are

Diesmal war zumindest alles klar. Diesmal überlegte es sich die Anzeigetafel im Ziel nicht doch noch mal anders - wie im Teamwettbewerb am Dienstag, als die deutsche Auswahl als Bronzegewinner ausgerufen wurde und kurz darauf jäh aus ihrer Freude fiel, weil Linus Straßer nachträglich eines Torfehlers überführt worden war. Diesmal war da kein Regelverstoß, kein Videobeweis, keine Läuferin, die oben am Start wartete und noch eine bessere Zeit hätte anbieten können. Viktoria Rebensburg konnte sich beim Zieleinlauf unverzüglich freuen, dass sie ihre letzte Chance bei dieser WM in Are versilbert hatte, im Riesenslalom am Donnerstagabend. Auch wenn ihre erste Reaktion - Kopf nach unten, Kopf in den Nacken - schwer nahelegte, dass da jemand Gold verpasst und nicht Silber gewonnen hatte.

Die Auswahl des Deutschen Skiverbands (DSV) hat im achten Rennen dieser Ski-WM also die erste Medaille erstanden, das war die positive Nachricht, auf die sich später alle einigen konnten. Rebensburg war 14 Hundertstelsekunden langsamer als die Slowakin Petra Vlhova eingetroffen, knapp zwei Zehntel schneller als Mikaela Shiffrin, die Olympiasiegerin aus den USA. Für die 29 Jahre alte Deutsche war es die zweite Medaille bei einer WM, die zweite silberne zudem, nach dem zweiten Platz vor vier Jahren in Beaver Creek. Aber wenn man als Führende in den letzten Lauf aufbricht, so wie Rebensburg am Donnerstag, dann bei der letzten Zwischenzeit noch vier Zehntelsekunden vorne liegt - musste man da jetzt "grundsätzlich sehr happy über die Silbermedaille" sein, wie Rebensburg befand? Oder sollte man sich nicht erst mal mordsmäßig darüber ärgern, dass man auf den letzten Metern alles eingebüßt hatte und noch ein bisschen mehr?

Das Rennen hatte turbulent begonnen; das Wetter hatte sich unter der Woche in Are wieder eingemischt, als wolle es zeigen, dass es nach den Turbulenzen in der ersten WM-Woche noch nicht genug hatte. Der Schnee, der sich in Are zuletzt so hoch gestapelt hatte, als wollte er bis zum nächsten Winter reichen, war plötzlich vom Regen fortgewaschen. Und auf dem Areskutan, dem Hausberg, pfiff der Wind am Donnerstag wieder heftig, die oberste Schicht auf der Piste war zudem aufgeweicht, die Jury beorderte die Läuferinnen kurz vor Rennbeginn an den rund 200 Meter tiefer gelegenen Reservestart.

Na und? Rebensburg kennt das ja: die weicheren Verhältnisse und dass der Jury bei einem Großereignis Wind und Wetter tendenziell egal sind, weil das Rennen irgendwie durchgepeitscht werden muss. Sie kennt auch, dass die Hoffnungen im deutschen Frauen-Team in erster Linie auf ihr ruhen, seit dem Rücktritt von Maria Höfl-Riesch vor fünf Jahren. Und dass sich die Medaillenwünsche des DSV in Are bis zuletzt nicht erfüllt hatte, unter anderem, weil Rebensburg im Super-G Bronze um lächerliche zwei Hundertstelsekunden verpasst hatte - das machte ihr offenkundig auch nichts aus. "Ich war heute den ganzen Tag null nervös", sagte sie später, und überhaupt: "Ich bin so lange dabei, dass ich weiß, wie ich damit umgehen muss."

"Ich habe definitiv Silber gewonnen"

Im ersten Durchgang fuhr Rebensburg dann auch genau so: Sie hielt die Kanten geschmeidig im Schnee, ohne dass sie den Halt verloren. Das fühlte sich nicht gerade prächtig an, aber Rebensburg wusste, dass das auf diesem nassen Geläuf immer so war, sie durfte bloß nicht nachlassen, das war alles. Und tatsächlich: Bestzeit nach dem ersten Lauf, zwei Zehntelsekunden vor Vlhova und knapp eine halbe Sekunde vor der Norwegerin Ragnhild Mowinckel und Shiffrin. Das war schon beachtlich, Rebensburg hatte im bisherigen Winter zwei zweite Plätze in die Wertung getragen, zuletzt war sie eher schlechter als recht unterwegs gewesen.

Die Konkurrenz? Haderte mit sich selbst oder dem Wetter. "Der erste Lauf war nicht fair", sagte zum Beispiel die Italienerin Federica Brignone, "wir sind hier bei einer WM, und das ist schlimm, wenn wir nicht alle die gleichen Bedingungen haben." Rebensburg mochte vielleicht das gleiche denken, aber sie schob diese lästigen Gedanken von sich weg. "Noch einmal Gas geben im zweiten Lauf", das war alles, woran sie dachte. Wer nach dem ersten Lauf führt, um den wird es am Start vor dem zweiten Lauf irgendwann immer einsamer - bei einem Großereignis hatte Rebensburg diese Rolle noch nie inne.

Das Wetter meinte es auch im zweiten Lauf nicht gut mit den Fahrerinnen: Es windete mal mehr, mal weniger - im Ziel fühlte es sich ab und zu an wie auf einem Nordsee-Strandspaziergang bei Windstärke acht. Aber die Jury drückte das Finale durch, wieder auf verkürzter Piste, und der Wind schien zumindest den letzten Läuferinnen einigermaßen gleiche Umstände zu gewähren. Shiffrin überbot zunächst Brignones Zeit um eine halbe Sekunde, Mowinckel schien die Führung an sich zu reißen, doch im Ziel fehlten ihr zwölf Hundertstel. Vlhova blieb am Tor hängen, aber sie war schnell, sie konnte sich ein paar Fehler leisten, denn sie schmiss sich bis zur letzten Sekunde in jedes Tor. Und dann kam Rebensburg, die bis zur letzten Kuppe wie die neue Weltmeisterin aussah, ehe ihr auf den letzten Metern ein wenig der letzte Mut abhanden kam.

Rebensburg ist keine, die sich emotional zu sehr in die eine oder andere Richtung lehnt, und so hielt sie es am Ende auch am Donnerstag: "Ich habe definitiv Silber gewonnen", beschloss sie, nach dem schmerzlichen Super-G sei das umso schöner. Vor zwölf Jahren hatte sie in Are ihre erste WM bestritten, jetzt bei einer ihrer wohl letzten noch mal eine Medaille gewonnen, an gleicher Stelle - "ist doch eine schöne Geschichte", sagte Rebensburg.

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SZ vom 15.02.2019
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