Süddeutsche Zeitung

Radsport:Gemischt auf der Straße

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Von Johannes Aumüller

Tony Martin, 34, und Lisa Brennauer, 31, sind es gewohnt, bei Radsport-Weltmeisterschaften im Zeitfahren erfolgreich zu sein. Sieben goldene und fünf weitere Medaillen gewann der Cottbuser in Einzel- und Teamwettbewerben im vergangenen Jahrzehnt, vier goldene und zwei weitere die Kemptenerin. Bei der WM in Harrogate/England, die an diesem Wochenende beginnt, könnten weitere Plaketten hinzukommen - auch eine ungewöhnliche: Martin und Brennauer können gemeinsam eine Medaille holen.

Erstmals steht bei einer Straßen-WM eine sogenannte Mixed-Staffel auf dem Programm. Zunächst fahren drei Männer (für Deutschland neben Martin noch Nils Politt und Jasha Sütterlin) gemeinsam einen 14 Kilometer langen Rundkurs durch Harrogate. Dann übergeben sie an das Frauen-Trio (für Deutschland neben Brennauer noch Lisa Klein und Mieke Kröger), das dieselbe Runde absolviert. Es ist ein Wettbewerb, mit dem der Rad-Weltverband UCI gleich zwei Dinge bezweckt: die Gleichstellung von Männern und Frauen zu demonstrieren - und die nationalen Föderationen wieder stärker in die WM einzubinden. Aber es ist ein Ansatz, der in der Szene durchaus unterschiedlich ankommt.

Früher war es üblich, dass es WM-Zeitfahren mit Nationalteams gab, vier Mann, 100 Kilometer, das war der Klassiker - bis 1994. Danach war Schluss, erst zwei Jahrzehnte später kam es zum Comeback: Allerdings nahmen keine Nationalteams mehr teil, sondern die Sponsoren-Mannschaften, wie sie der Radsport aus klassischen Rennen wie der Tour de France kennt. Also nicht mit Deutschland, Großbritannien und Frankreich, sondern mit Bora, Sky und Ag2r. Doch den UCI-Bossen missfiel die geringe Beteiligung, und so dachten sie sich eine Mixed-Staffel aus - ein Format, wie es Biathleten oder Schwimmer seit längerem im Programm haben.

Insbesondere manche großen Rad-Mannschaften sehen das skeptisch. Matthew White, Chef von Mitchelton-Scott, bezeichnete die Idee umgehend als "Micky-Maus-Wettbewerb", sein Quickstep-Kollege Patrick Lefevere nannte sie "lächerlich". Aber das sind auch Vertreter jener Teams, die über sehr gute Zeitfahr-Combos verfügen und sich nun um eine WM-Titel-Chance gebracht sehen. Ralph Denk von der deutschen Bora-Equipe wiederum weint der Abschaffung des Mannschaftszeitfahrens zwar nicht nach, weil dies immer besonderen Aufwand bedeutet habe und der Rennkalender ohnehin dicht gedrängt sei. Aber auch er sagt, er halte "gar nichts" davon, einen neuen Wettbewerb zu konstruieren.

Seine Argumente gehen so: Der Fan sei es gewohnt, dass im Radsport die Fahrer nicht nach Nationen organisiert seien, sondern in Mannschaften - daher werde der Staffel-Wettbewerb nicht so gut funktioniere wie etwa im Biathlon. Zudem seien bei den Dreier-Teams nur die Trikots gleich, jeder fahre mit eigenem Helm und eigener Ausrüstung, das sähe auch nicht so schön aus wie etwa bei der Tour. Und es brauche doch nicht zwingend einen dritten WM-Wettbewerb; Einzelzeitfahren und Straßenrennen würden reichen.

Der BDR geht mit nahezu bestmöglicher Auswahl an den Start

Beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hingegen sind sie eher erfreut über das neue Format. "Das ist eine gute Lösung, für uns ist das ein interessanter Wettbewerb. Wir halten das auch im Sinne der Gleichberechtigung für eine gute Idee", sagt Erik Weispfennig, früher Bahnrad-Weltmeister und nun BDR-Vize: "Jetzt müssen wir mal schauen, wie die Disziplin international angenommen wird."

Zu den Kuriositäten zählt, dass üblicherweise just beim Teamzeitfahren eine akribische und gemeinsame Vorbereitung erfolgt, um jede Zehntelsekunde herauszuholen. Doch das entfällt etwa beim deutschen Männer-Trio, weil die Fahrer in verschiedenen Teams unterwegs sind und erst in Harrogate zusammenkommen. Weispfennig ist trotzdem zuversichtlich; es habe auch spezielle Trainings gegeben.

Der Verband verspricht sich einiges von dem Wettbewerb. Bei der EM gab es bereits, wenn auch in anderer Formation, Platz zwei. Nun geht der BDR mit der nahezu bestmöglichen Auswahl an den Start - im Gegensatz zu manch anderer Nation.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019
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