Süddeutsche Zeitung

Premier League:Arsenal hängt am Özil-Tropf

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Von Raphael Honigstein, London

Ein Innenverteidiger (Laurent Koscielny) als Matchwinner, ein Torhüter (Petr Cech) als sogenannter main talking point, das Spiel (scheußlich) und das Wetter (scheußlicher) eine einzige Zumutung: Die Erwartungen der Arsenal-Anhänger an eine lockerleichte Gala-Vorstellung gegen Abstiegskandidat Newcastle United wurden am Wochenende im Emirates-Stadion so gründlich enttäuscht, dass am Ende die Freude paradoxerweise umso größer war.

Arsenals Fans begrüßten das zittrige 1:0 mit begeistertem Gebrüll: Was könnte an diesem eklig verregneten Nach-Neujahrstag schöner sein als ein derart hässlicher Sieg an der Tabellenspitze, ein Erfolg wider das eigene Künstler-Naturell?

Das kleine Ergebnis fühlte sich sehr bedeutsam an, fand auch Trainer Arsène Wenger, es könne an anderen fußballerischen Regentagen als Gedächtnishilfe dienen. "Wenn man nicht gut spielt, muss man zusammen halten und einen Weg finden, trotzdem zu gewinnen", sagte der Elsässer, "wir können uns in der Zukunft daran erinnern, wie das heute war."

Ob man sich später auch außerhalb Nordlondons an die mit überaus schlichten Mitteln - Ecke Mesut Özil, Kopfball-Pingpong im Newcastle-Strafraum, Abstauber Koscielny (71.) - erstrittenen drei Punkte erinnern wird, dürfte ganz wesentlich vom Ausgang des Titelrennens abrennen, doch Wenger konnte nach Abschluss des harten Weihnachtsprogramms mit vier Spielen in 13 Tagen zufrieden sein Fazit ziehen: "Wir haben sehr viel investiert. Zehn Punkte wären ideal gewesen, neun sind akzeptabel." In einer auf mittelhohem Qualitätsniveau wankelmütigen Liga reicht diese Ausbeute, um als Spitzenreiter und Favorit in die kommenden Wochen zu gehen.

Özil ist Kandidat für die Wahl zum Spieler des Jahres in England

Bis zum nächsten Ligaspiel in zehn Tagen können die Gunners neue Kraft schöpfen, denn im FA-Pokal gegen Sunderland am kommenden Samstag wird Wenger voraussichtlich dem einen oder anderen Stammspieler eine Pause gönnen. Mesut Özil, bisher der herausragende Akteur in der Liga und Top-Kandidat für die Wahl zum Spieler des Jahres in England, wirkte gegen Newcastle leicht erschöpft.

Der 27-Jährige ist in seiner dritten Saison an der Themse zum wichtigsten Mann seiner Elf gereift, Arsenal lebt immer mehr und immer besser von seinen minutiös genauen Pässen im letzten Drittel (16 Torvorlagen) und seiner nonchalanten Ballsicherheit im Spiel zwischen den Linien. "Immer wenn du denkst, jetzt müsste er eigentlich abspielen, spielt er den Ball - noch bevor du den Gedanken zu Ende gedacht hast", sagte Wenger vor der Partie.

Özil läuft, wie das gesamte Team, in dieser Spielzeit auch mehr ohne den Ball. "Es ist nicht nur seine Pass-Statistik - sein Arbeitsaufwand ist beachtlich", lobt der Kollege Theo Walcott. Mediale Vergleiche mit Dennis Bergkamp, dem großen Kreativgenie in der Geschichte Arsenals, erscheinen heute nicht mehr so arg konstruiert, sondern zwangsläufig.

Die Kehrseite von Özils Brillanz ist die daraus resultierende Abhängigkeit seiner Elf. Das ganze Stadion schien am Samstag auf seine Geistesblitze zu warten, vergeblich. Die Unterversorgung an Özil'scher Schaffenskraft führte unverzüglich zu empfindlichen Mangelerscheinungen bei den Hausherren. "Wir hatten schwere Beine, keinen Spielfluss, keine Bewegung", zählte Wenger die Beschwerden auf.

Torhüter Cech macht den Unterschied

Was Arsenal jedoch hatte und in dieser Saison im Gegensatz zu den letzten Spielzeiten eigentlich immer hat, ist: ein ausgezeichneter Torwart. Petr Cech kam im Sommer als einzige Neuverpflichtung, vom Nachbarn Chelsea, und die Tragweite dieses 16-Millionen-Euro-Transfers wird immer offensichtlicher. Der 33-Jährige rettete mit zwei Paraden den Sieg, "seine Ruhe und Stabilität sind eine unheimliche Hilfe für uns, er gerät nie in Panik", sagte Wenger.

Seit Jens Lehmann, der mit Arsenal vor zwölf Jahren ungeschlagen die Meisterschaft gewann, haben die Londoner keinen echten Könner mehr zwischen den Pfosten beschäftigt; mit Cech steht nun aber der amtierende Rekordhalter für Zu-null-Spiele in der Premier League im Kasten. Das 1:0 gegen Newcastle markierte Cechs 171. Partie mit clean sheets, wie man auf der Insel Spiele ohne Gegentor nennt: Spiele " mit unbefleckten Spielberichtsbögen".

Es ist auch Cech zu verdanken, dass es für Arsenal doch noch ein rundes Wochenende wurde. Denn ein Team, das selbst bei Schlechtwetter und ohne einen voll funktionstüchtigen Özil besteht, muss der schwächelnden Konkurrenz Angst machen.

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SZ vom 04.01.2016
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