Süddeutsche Zeitung

Pokalpleite des HSV:"Jetzt schon keinen Bock mehr auf die Saison"

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Der Hamburger SV leistet sich im Pokal ein blamables 1:4 beim Drittligisten Dresden - und dann legt sich Abwehrspieler Toni Leistner auch noch mit einem Dynamo-Fan auf der Tribüne an.

Von Carsten Scheele

Der Reporter des Bezahlsenders Sky wurde von der Szenerie nach Spielschluss eindeutig überrascht, er stellte trotzdem, als er mit seinem Interview endlich starten konnte, eine sehr richtige Frage. "Toni Leistner", sagte der Reporter, "was ist da gerade passiert?"

Leistner, geboren 1990 in Dresden, seit dem Sommer 2020 Fußballer des Hamburger SV, hatte zuvor einen ersten Interviewversuch abgebrochen. Er war nach dem peinsamen 1:4 (0:2) des HSV in der ersten Pokalrunde beim Drittligisten Dynamo Dresden, entgegen aller Protokolle, auf die Tribüne gesprungen, hatte sich durch die eng stehenden Fans gerempelt - bis zu einem Mann, den er nach einem kurzen Wortgefecht zu Boden schubste. Danach gab es Proteste der umstehenden Dresdner Anhänger, Leistner schaffte es trotzdem zurück auf den Rasen, zum Interview. Was also passiert war? Kurzer Blick in Richtung der Fans seiner Heimatstadt: "Meine Familie oder so lasse ich nicht beleidigen."

Später hat sich Leistner offiziell entschuldigt. Er sei massiv angefeindet worden, unter der Gürtellinie, wie Leistner in den sozialen Netzwerken erklärte: "In dem Moment sind mir die Sicherungen durchgebrannt. (...) Ich entschuldige mich in aller Form für mein Verhalten und kann nur versprechen, dass mir - egal was mir an Beleidigungen an den Kopf geworfen wird - so etwas nie wieder passieren wird."

"Neue Saison, alter HSV", schreibt eine Zeitung

Für seinen neuen Klub, den HSV, war es der Moment, an dem die Verantwortlichen die Reise am liebsten niemals angetreten hätten ins Rudolf-Harbig-Stadion, in das wegen gelockerter Corona-Bestimmungen tatsächlich mehr als 10.000 Fans eingelassen wurden. So viele wie in kein anderes Pokalstadion der Republik. Eine Kulisse, die nicht nur Leistner, sondern den gesamten HSV offenbar überforderte. So hat der erste Pflichtspielauftritt des neuen Trainers Daniel Thioune gleich mal ein blamables Ende gefunden hat, der dank Leistners Aussetzer auch extraviele Negativschlagzeilen produzierte.

"Neue Saison, alter HSV", schrieb die Morgenpost schon wenige Minuten nach Schlusspfiff. Der Chef der Supporters, der mächtigen Fanvereinigung des Klubs, machte seinem Ärger ebenfalls anständig Luft. "Hochverdient und hochnotpeinlich", twitterte Timo Horn, "jetzt schon keinen Bock mehr auf die Saison."

Die Geschichte hat sich tatsächlich schon einige Male wiederholt. Der HSV proklamiert einen Neuanfang, holt einen neuen Coach, tauscht die halbe Mannschaft aus - und blamiert sich trotzdem nach Kräften. Das Team des Zweitligisten, der so gerne wieder in die erste Liga zurückkehren würde, wirkte anfangs bemerkenswert konfus, lag nach einer Viertelstunde schon mit 0:2 zurück (Tore: Yannick Stark und Robin Becker), später machten Christoph Daferner und Sebastian Mai (Handelfmeter) die Pleite perfekt, zu der Hamburgs Amadou Onana (89.) nur das zwischenzeitliche 1:3 beisteuern konnte.

"Wir dachten nach den letzten Eindrücken, dass wir ein Stück weiter sind", beklagte sich Coach Thioune, trotz der Ereignisse um einen ruhigen Ton bemüht. Jetzt habe seine Mannschaft "auf die Nase bekommen. Wir müssen uns ein bisschen schütteln, sind gestolpert, das wird uns auch in zweiten Liga erwarten."

Neu ist, dass Spieler auf der Tribüne Selbstjustiz üben. Die Szene mit Leistner habe er "nicht mitbekommen", sagte Thioune: "Ich habe nur gesehen, dass Toni Leistner den Rückweg angetreten hat von der Tribüne." Sein früherer Klub verteidigte ihn: "Es ist einfach nur beschämend, dass Toni Leistner derart von einem Fan seines Heimatvereins beleidigt wurde", heißt es in einem Dynamo-Statement, "wir suchen die Person, weil wir diesen Vorfall so nicht stehen lassen wollen." Eine Strafe erwartet Leistner dennoch, und die wird vermutlich deftig ausfallen.

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