Süddeutsche Zeitung

Philipp Kohlschreiber beim Davis Cup:Immer der Böse

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Von Philipp Schneider, Frankfurt

Niki Pilic saß etwa auf Höhe von Heinrich III., genau zwischen Konrad II. und Heinrich IV. Pilic saß also nicht weit entfernt von Heinrich V. Und hätte Pilic in diesem Moment nicht seine ganze Aufmerksamkeit der Pressekonferenz vorne auf dem Podium widmen müssen, er hätte sich vielleicht gefragt, wie viele Heinrichs insgesamt mal Herrscher des Heiligen Römischen Reiches gewesen waren, die hier im Kaisersaal des Frankfurter Römers alle auf Ölgemälde gepinselt wurden. Nun, es waren sieben Heinrichs. Und damit gibt es einen Heinrich mehr, als es Kapitäne des deutschen Davis-Cup-Teams gegeben hat in der Zeit nach der Regentschaft von Niki Pilic - der die Mannschaft von 1987 bis 1996 anführte, zu drei Titeln lenkte - und der nun vom Deutschen Tennis-Bund wieder engagiert wurde als eine Art Berater. Wohl auch, um aufzupassen, dass die Amtsperiode des neuen Kapitäns Michael Kohlmann länger andauern möge als die von Amtsvorgänger Carsten Arriens. Der war Anfang Februar entlassen worden, wegen einer Fehde mit Spitzenspieler Philipp Kohlschreiber, die genau vor einem Jahr in Frankfurt begonnen hatte.

Jan-Lennard Struff erhält für das Einzel etwas überraschend den Vorzug vor Benjamin Becker

Von diesem Freitag an trifft Deutschland in der ersten Runde auf den Vorjahresfinalisten Frankreich. Kohlmann, seit wenigen Tagen Teamchef, nominierte für die ersten zwei Einzel Philipp Kohlschreiber und Jan-Lennard Struff. Dass er dem Debütanten Struff den Vorzug vor dem 35 Weltranglistenplätze besser platzierten Benjamin Becker gab (ATP-Nr. 39), war schon eine Überraschung. Es sei eine "enge Entscheidung" gewesen, sagte Kohlmann, Struff habe gut trainiert in Frankfurt: "Bin nach meinem Bauch gegangen." Kohlschreiber trifft also an diesem Freitag auf Gaël Monfils, zuvor begegnen sich Struff und der französische Spitzenspieler Gilles Simon (14 Uhr). So viel zum Sportlichen. Doch wenn Kohlschreiber Davis Cup spielt, geht es oft um mehr. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Bleibt es ruhig, oder gibt es wieder Stunk?

Philipp Kohlschreiber hat in Frankfurt einen schönen Satz gesagt: "Bin ich ruhig, bin ich der Böse. Sage ich etwas, bin ich auch der Böse." Er wollte das Leid eines Missverstandenen klagen. Eines Mannes, der nicht länger verantwortlich gemacht werden möchte für die Entlassungen zweier Teamchefs. Auch wenn Arriens Vorgänger Patrik Kühnen seinen Job ebenfalls verloren hatte nach einer langen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Spieler. Doch Kohlschreiber fasste mit seinem schönen Satz womöglich unfreiwillig die Gründe für die Demissionen zusammen: Den Austausch von Teamchef Kühnen führte Kohlschreiber herbei, indem er etwas sagte. Indem er Kühnen monatelang öffentlich kritisierte, nicht aufhörte zu maulen. Und den Austausch von Arriens führte er herbei, indem er sich offenbar eine ganze Weile ruhig verhielt. So erzählt es zumindest Arriens, der klagt, dass Kohlschreiber an einem Versöhnungsgespräch nicht sonderlich interessiert gewesen sei.

Ohne jetzt zu sehr in die Details von Kohlschreibers umstrittener Vergangenheit im Davis Cup einzugehen, es war ja so: Mit Teamchef Kühnen stritt er letztlich über Erhalt oder Nicht-Erhalt einer Glückwunsch-SMS. Mit Teamchef Arriens geriet er erstmals aneinander, als er im Vorjahr während der Erstrunden-Partie in Frankfurt gegen Spanien bei 3:0-Führung kein bedeutungsloses Einzel spielen wollte. Genau wie seine damaligen Mannschaftskollegen Tommy Haas und Florian Mayer. Alle drei klagten über Verletzungen, Kohlschreiber über Schmerzen im Ellbogen. Teamchef Arriens ließ damals aus Verzweiflung Strohhalme ziehen, um einen Spieler zu losen. Kohlschreiber verlor, betrat aber trotzdem nicht den Platz. Dies war der Anfang vom Ende des Zerwürfnisses zwischen Kohlschreiber und Arriens, der sich von aufgebrachten Frankfurter Tennisfans auch noch auspfeifen lassen musste. Damit sich ein solcher Eklat nicht wiederholt, gibt es nun: Niki Pilic.

"Wenn ich damals dabei gewesen wäre, dann wäre das nicht passiert", sagt Pilic: "Einer muss immer spielen. Und wenn er angeschlagen ist, dann kann er zumindest 30 Minuten spielen."

Inzwischen ist es so, dass sich Kohlschreiber permanent rechtfertigen muss, wenn er auf den Davis Cup angesprochen wird. Er hat eine andere Sicht auf diesen Wettbewerb, in dem Individualsportler plötzlich eine Mannschaft formen. "Wir sind kein Team, das durch Freundschaft glänzt", hat er mal gesagt: "Wir sind unterschiedliche Charaktere, die sich wie Magnetpole voneinander wegbewegen." Er bezog die Beobachtung auf Tommy Haas, mit dem er sich zerstritten hatte. Davis-Cup-Kollegen, das schließt wohl auch den Teamchef mit ein, müssen nicht befreundet sein. So sieht das Kohlschreiber. Er hat in der Frage eine eher rationale Einstellung entwickelt, die seit jeher den Egoismus streift: "Jeder kämpft das ganze Jahr für sich alleine, jeder hat eigene Interessen", hat er gesagt: "Diese elf Freunde aber, wie es gerne dargestellt wird, die gibt es nicht."

Auch in der Mannschaft, die sich nun in Frankfurt versammelt hat, gibt es sicher nicht nur innigste Freunde. Kohlschreibers Kollege Andre Begemann beispielsweise, der am Samstag das Doppel an der Seite von Benjamin Becker bestreiten soll, war erst im Vorjahr von Arriens ins Team berufen worden. Als er von dessen Entlassung erfuhr, an der Kohlschreiber maßgeblich beteiligt war, twitterte Begemann: "Ein trauriger Tag im deutschen Tennis!!!". Die Botschaft versah er noch mit dem Hashtag "fassungslos".

Die vielen Geschichten von Kohlschreibers Eskapaden im Davis Cup überlagern die wenigen Episoden, von denen er stolz erzählen könnte. Davon etwa, dass ihn sein Physiotherapeut Oliver Schmidtlein 2013 in Buenos Aires huckepack in die Kabine tragen musste. Weil er nicht mehr laufen konnte, nachdem er sich in einer großen Partie gegen Carlos Berlocq nach 4:06 Stunden verletzt hatte. Bei 5:4 Führung im fünften Satz. "Sowas wünscht man keinem", sagte er damals. "Ich hätte lieber verloren und dem Gegner gratuliert." Aber daran erinnert sich kaum noch jemand.

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SZ vom 06.03.2015
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