Süddeutsche Zeitung

Paris in der Champions League:Von der Last zur Lust

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Das schnellste Offensivtrio, neue Solidarität und die passende Taktik: Frankreichs Presse traut dem Team um Neymar im Finale Großes zu. Und sieht beim FC Bayern ein paar Schwächen.

Von Oliver Meiler

Ein Verein ist übrig geblieben, immerhin, das ist schon eine Menge. Für die ganz große Revanche über alle Verächter und Belächler des französischen Vereinsfußballs, der Ligue 1, der Nummer fünf auf der Renommierskala europäischer Meisterschaften, hätte es vielen Franzosen jedoch gefallen, wenn Paris und Lyon den Sieg in der Champions League unter sich ausgemacht hätten. Für die General-Rehabilitierung - mit einem Schlag. Doch am Ende siegt die Logik der Dinge: FC Bayern gegen Paris St. Germain, auf dem Programmblatt gibt die Finalpaarung auch einiges her. Olympique Lyon, eines der Überraschungsteams dieses Schnellturniers, fällt aus den Sternen und zurück auf die Erde, wie L'Équipe schreibt.

Für Lyon ist das ein besonders harter Aufprall. Da der Klub zum Zeitpunkt des Meisterschaftsabbruchs nur Siebter war und das Klassement eingefroren wurde, steht er nun zum ersten Mal seit 1996 wieder vor einer Saison ohne Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb. Nur wenn Olympique das Turnier gewonnen hätte, wäre die budgetäre Großkatastrophe noch abzuwenden gewesen. Nun muss ein halbes Dutzend Spieler verkauft werden. Auch die Besten werden darunter sein, die die Glanzlichter der vergangenen Wochen setzten, unter anderem Houssem Aouar, Memphis Depay und Moussa Dembélé. Fürwahr: ein Himmelssturz.

Aber eben auch erwartbar. So richtet sich nun alle Aufmerksamkeit auf den Showdown der beiden Favoriten. In Paris fragen sie sich zunächst einmal, wie das am Sonntagabend gut gehen kann: Corona und Jubel. Das Sportministerium überraschte mit der Ankündigung, es denke über die Einrichtung von Fan-Zonen nach, in denen die Anhänger das Spiel in Sicherheit auf Großbildschirmen schauen könnten, mit Abstandswahrung.

Die Gesundheitsbeauftragte der Stadt hat das nun unterbunden. Denn wie ließe sich im Falle eines PSG-Siegs die Freude coronakonform kanalisieren? Der Verein lädt 5000 Zuschauer in sein Stadion ein, in den Parc des Princes: berühmte Leute, Dauerkartenhalter und junge Menschen aus sozial benachteiligten Schichten. Aber auch da: Wie klug ist das? Die Pariser Stadtverwaltung warnte schon vor einem "gigantischen Cluster". Nach dem Sieg gegen RB Leipzig hatten Tausende Fans in den Straßen von Paris den ersten Finaleinzug ihres Teams gefeiert, auch auf den Champs-Élysées. Die Polizei nahm Dutzende fest, weil die aller Vorsichtsmaßnahmen spotteten.

Premiere also: Bayern sei ein Berg, schreibt L'Équipe, aber nicht unüberwindbar. "Sie haben keine große Schwachstelle, aber ein paar Schwächen haben sie schon, doch, doch." Und für die Beweisführung, die wohl auch als generelle Mutspende dienen soll, werden die ersten Minuten der jüngsten Partien herangezogen. Gegen den FC Barcelona und vor allem gegen Lyon ließ sich der FC Bayern zu Beginn gleich mehrmals in kurzer Zeit in den Rücken laufen. Und da die Münchner Abwehrreihe nun einmal gerne hoch stehe, seien aggressive Tempoläufe schneller Stürmer ein probates Mittel, heißt es - gerade gegen den nicht mehr so gewandten Verteidiger Jérôme Boateng, der im Zurücklaufen Defizite offenbare. Lyon erschuf sich mit Kontern drei Großchancen in der ersten Viertelstunde - und vergab sie allesamt.

Schnell, um es mittelprächtig untertrieben zu sagen, sind auch die drei Stürmer von PSG: Kylian Mbappé, Neymar Junior und Ángel Di María. Sie formieren in dieser Sportart derzeit wahrscheinlich das schnellste Offensivtrio überhaupt. Hinzu kommt, dass die beiden Starspieler des Vereins, Mbappé und Neymar, im Lissaboner Finalturnier noch kein Tor erzielt haben und im Finale daran mit aller Macht etwas ändern wollen. "Ich werde meinen Körper auf dem Rasen liegen lassen", versprach Mbappé. Nach seiner Knöchelverletzung ist er noch immer nicht fit, aber 90 Prozent der ordentlichen Fitness reichen bei dem 21-jährigen Pariser schon aus für ein beachtliches Tempo. Und Neymar, der in früheren Jahren im entscheidenden Stadium der Champions League oft verletzt war, treibt die unbändige Lust an, allen zu zeigen, dass er mit 28 eine Mannschaft fast allein tragen kann - bis ganz hinauf. Eine französische Mannschaft zudem, wer hätte das für möglich gehalten?

Paris' Prämie für einen Finalerfolg? Eine halbe Million Euro pro Spieler

"Die Planeten stehen gut", titelt Le Parisien, meinte aber wohl eher die Sterne. Als wäre das Schicksal plötzlich wägbar. Fünf Gründe hat die Zeitung dafür ausgemacht. Erstens sei PSG als Kollektiv seit der Übernahme durch einen katarischen Staatsfonds vor neun Jahren noch nie stärker und besser ausbalanciert gewesen als gerade jetzt. Zweitens führten sich nun auch die Stars solidarisch auf, als Teile eines Teams. Die Spieler seien Freunde geworden, sagte Mbappé: "Und man rennt nun mal lieber für einen Kameraden, den man auch mag."

Drittens sei Neymar in einer Form, die ihm in normalen Jahren den Ballon d'Or des weltbesten Fußballers eintragen könnte. Die Trophäe wird dieses Jahr allerdings nicht vergeben. Viertens habe der Trainer, Thomas Tuchel, endlich die richtige Formel gefunden, ein modulierbares 4-3-3, in dem Neymar genau das machen dürfe, was er wolle. Und diese Freiheit des Brasilianers trägt offenbar nicht unwesentlich zum guten Klima bei. Fünftens stünden auch die Verletzten auf, und wer darin eine biblische Anspielung verstehen will, der ist herzlich willkommen. Marco Verratti, das italienische Metronom im Mittelfeld, ist genesen von seiner Wadenverletzung und dürfte im Endspiel mindestens ein bisschen mitspielen können. Bei Torwart Keylor Navas, der in seiner Karriere schon drei Mal die Königsklasse gewann, ist man noch optimistischer.

Apropos Pokal: Gewinnt Paris St. Germain, steht jedem Spieler im Kader eine Prämie von einer Million Euro zu. Denn eine halbe Million gäbe es für die Champions League, 400 000 Euro sind schon fällig für den gewonnenen Meistertitel, je 50 000 für die beiden Siege im Ligacup und im nationalen Pokal. Nicht Triple: Quadruple! Die Summen hat einst Zlatan Ibrahimovic bestimmt, der erste große Marketingleiter Katars an der Seine, recht eigenmächtig. Und da der Emir vom Golf sich nichts sehnlicher wünscht als diesen Pott mit den großen Ohren, beließ er die üppige Prämienskala auch nach Ibrahimovics Weggang über all die Jahre hinweg unverändert.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2020
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