Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele in Peking:Das Ende der Pferderomantik

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Der Reitsport ist in Gefahr, den olympischen Status zu verlieren, weil er das ungeschriebene Gesetz des Spitzensports verletzt: Wenn schon Doping, dann bitte diskret.

Claudio Catuogno

Woran liegt es gleich nochmal, dass die Vertreter aus dem Pferdeland Deutschland immer so viele Medaillen abgreifen? Ah ja, richtig: an ihrer Professionalität. Das ist jedenfalls die Version, mit der sie gerne die Werbetrommel rühren: Nirgends wird der Reitsport mit so viel Akribie betrieben wie im Land der Winklers, Schockemöhles und Beerbaums.

Nach Hongkong haben sie extra ein Schiff mit Futter und Equipment geschickt, damit sich die Pferde bei Olympia wie zuhause fühlen. Doch dieser hohe Standard wendet sich nun, da von Christian Ahlmanns Pferd Cöster ein Dopingbefund vorliegt, gegen die deutsche Equipe. Wer glaubt ihnen jetzt noch die Version vom dummen Versehen, vom tölpischen Tierarzt, vom kontaminierten Stall? Wo doch jede Salbe registriert, jeder Strohsack mit deutscher Gründlichkeit versiegelt wurde?

Merkwürdig sei es ja schon, orakelt Ludger Beerbaum, dass gleich vier Teams mit dieser seltsamen Art des Chili-Dopings auffallen. Und tatsächlich kann der Wirkstoff Capsaicin auf verschiedene Weise in einen Pferdekörper gelangen. Er ist in Durchblutungscremes enthalten - in diesem Fall wäre seine Verwendung dem Reglement zufolge kein Doping, sondern bloß die minderschwere Variante: verbotene Medikation. Chili-Salbe wird auch auf Verbände geschmiert, um Pferde daran zu hindern, diese anzuknabbern - dann wäre die Verwendung schiere Dummheit.

Denn es gibt diesen dritten, unschönen Einsatzzweck: das Auftragen des Wirkstoffs auf die Vorderbeine, um die Stellen oberhalb der Hufe schmerzempfindlicher zu machen. Als kleine Extramotivation, bloß keine Stange zu streifen. Das müsste man "medikamentöses Barren" nennen. Und Doping. Und Tierquälerei. Dass solche Methoden verbreitet sind, leugnet die Szene. Doch Fahnder arbeiten bereits an einem thermischen Analyseverfahren, um Manipulationen der Pferdebeine zu enttarnen. Ganz ohne Grund?

Es ist wohl endgültig an der Zeit, die als Spitzensport betriebene Reiterei zu entromantisieren. Reiten kostet Geld - und soll Geld einbringen. Wozu das führt, ist aus anderen Sparten bekannt. Wenn im Zusammenhang mit Cremchen und Mittelchen also vom "Wohl der Tiere" die Rede ist, das immer im Vordergrund stehe, heißt das vor allem: Man braucht sie noch. Für den nächsten Wettkampf.

Im deutschen Springreiten kann von Einzelfällen keine Rede mehr sein, der Weltverband FEI fällt in Sachen Doping seit Jahren mit Formfehlern und milden Bestrafungen auf. Damit riskieren die ohnehin umstrittenen Reiter die Streichung aus dem olympischen Programm. Nicht, wie bisher, bloß wegen der hohen Kosten. Sondern weil ständiges Medaillenumverteilen den Funktionären nicht gefällt. Das ist ja das ungeschriebene Gesetz des Spitzensports: Wenn schon Doping, dann bitte diskret.

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SZ vom 22.08.2008/jüsc
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