Süddeutsche Zeitung

Olympia-Verschiebung:Ein Sieg der Athleten

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Das IOC hat viel zu lange die Realität geleugnet und einen enormen Schaden angerichtet. Sportler an der Basis haben schneller Verantwortung übernommen - das sagt viel über die Spitze aus.

Kommentar von Johannes Knuth

Einen Monat ist es her, da simulierten sie im Olymp noch strikte Gelassenheit. Die Olympischen und Paralympischen Spiele im kommenden Sommer seien gesichert, man denke nicht mal über einen Plan B nach. Dabei war diese Auskunft schon damals etwa so belastbar wie Worte aus dem Mund des US-Präsidenten Trump. Thomas Bach, der deutsche Boss an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees, muss um diese Brisanz gewusst haben - er, der Meister des Strippenziehens, der auf dem sportpolitischen Parkett stets so antizipiert und zusticht wie früher auf der Fecht-Planche. Nur: Wie legt man ein hochinfektiöses Virus aufs Kreuz?

Jetzt, da die Spiele offiziell in den Sommer 2021 vertagt sind, stellt sich ja schon noch mal die Frage, wieso die Olympia-Macher sich derart lange Zeit ließen. Es war eine Frage der Organisation und des Geldes, klar. Vor allem für die Japaner. Die müssen auf ihr Budget, das ohnehin längst übergekocht ist, wie es der olympische Brauch will, weitere Milliarden türmen. Auch scheinen sich Bach und Shinzo Abe, der japanische Premier, in Sachen Starrsinnigkeit durchaus ebenbürtig zu sein. Aber da ist noch etwas anderes.

Die große Mehrheit der Gesellschaft schafft es ja seit Wochen zu verzichten. Auf soziale Kontakte, auf eigene Pläne und Träume, mittlerweile sogar weitgehend auf Toilettenpapier-Hamsterkäufe. Sportler sind oft besonders egoistisch, hat die amerikanische Stabhochspringerin Sandi Morris kürzlich gesagt, sonst könnten sie nicht erfolgreich sein. Aber in dieser Krise, das begriffen Morris und fast alle Kollegen bald, stehe die Gesundheit über allem. Und das IOC? Das ließ noch Qualifikationswettbewerbe ausrichten, als Staaten ihr öffentliches Leben einschränkten. Auch sonst vermittelte es bis zuletzt nie den Eindruck, als habe es verstanden, dass es selbst und seine Spiele gerade verzichtbar sind. Mag sein, dass das vielen Honoratioren schwerfällt, die seit Jahren erster Klasse um die Welt jetten, von Staatschefs hofiert werden und meinen, für ihr nobles Werk längst den Friedensnobelpreis verdient zu haben.

Viel Sport wurde zuletzt nicht getrieben, das IOC schaffte es trotzdem, einen olympischen Rekord aufzustellen: als Weltfremdester unter den Weltfremden.

Der Schaden ist schon jetzt gewaltig. Allein was das Wohlergehen vieler Athleten angeht, die bis zuletzt gedrängt wurden, weiter zu trainieren, obwohl das in der Isolation kaum möglich war. Am Ende waren es die Sportler, die so viel Druck ausübten, dass immer mehr nationale Olympia-Komitees ankündigten, den 2020er-Termin zu boykottieren, bevor er abgeblasen war. Im Olymp ist gerade einiges aus den Fugen geraten, und die Folgen sind noch nicht absehbar. Im kommenden Jahr steht auch Bachs Wiederwahl an. Das war zumindest mal der Plan.

Derartigen Entwicklungen wohnt immer eine ambivalente Kraft inne: Der Aufstand von unten erzählt ja auch davon, wie gravierend die Missstände an der Spitze sind. Aber es ist auch ein gutes Signal, weil zumindest die Basis jene Verantwortung schulterte, die ihre Führung lange verweigerte. Zwar werden in Tokio in diesem Sommer keine Medaillen verteilt - viele Athleten haben sich aber schon jetzt eine kollektive verdient, in Gold.

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SZ vom 25.03.2020
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