Süddeutsche Zeitung

Olympia-Vergabe:Schlingern vor dem Ziel

Lesezeit: 2 min

Mailand oder Stockholm: Am Montag wird der Ausrichter der Winterspiele 2026 gekürt, obwohl den Olymp noch immer Misstrauen umweht.

Kommentar von Johannes Knuth

An diesem Sonntag weiht das Internationale Olympische Komitee sein neues Hauptquartier in Lausanne ein, und wie es sich im Olymp gehört, ist der Bau ordentlich mit Symbolik aufgepumpt. Die Fassade ist gläsern (Transparenz!), der Schutt des alten Quartiers wurde beim Bau des neuen verwendet (Nachhaltigkeit!), die Solarzellen auf dem Dach wurden so verlegt, dass sie an Tauben im Landeanflug erinnern (Umweltschutz! Weltfrieden!).

Dieser Eifer ist immer wieder putzig, wenn man bedenkt, wie die Ringe-Familie zu ihren Kongressen jettet, von Lima bis Peking, wo hinter verschlossenen Türen der Luxushotels (Nachhaltigkeit?) gerne mal fleißig gedealt wurde (Stimmenkauf!). Aber jetzt steht ja alles im Zeichen des Aufbruchs: neuer Stammsitz, neue Agenda, die IOC-Präsident Thomas Bach einst mit viel Tamtam verabschiedete und die Olympia billiger, nachhaltiger, flexibler machen soll. Und in Mailand/Cortina d'Ampezzo und Stockholm/Are hat man ja auch endlich wieder zwei Bewerber aus dem europäischen Kernmarkt an der Hand, für die Winterspiele 2026, die am Montag in Lausanne vergeben werden.

Ein bisschen fühlt man sich bei diesen blumigen Worten immer an die Kaffeefahrt-Annoncen erinnert, die einem früher in der TV-Zeitschrift ins Auge sprangen: "Gratis-Teeservice! Gratis-Hafenrundfahrt! Gratis Mittagessen!" Nur dass der Bus mit der gutgläubigen Reisegruppe dann nicht zum Hafen, sondern zu einem Gasthof in der niedersächsischen Pampa tuckerte, wo ein Verkäufer eine Anti-Rheuma-Matratze für 2000 Mark anpries (beim IOC gibt es dafür den knallharten Host-City-Vertrag sowie den olympischen Geist gratis obendrauf).

Es liegt jedenfalls nahe, dass diese Kluft - die Fensterreden und was dahintersteckt - weiter fest zum olympischen Programm gehört. Allein der Bewerbungsprozess der Spiele 2026: Da sollte sich die Kraft von Bachs Agenda 2020 schon mal entfalten. Tatsächlich gaben die meisten Bewerber vorzeitig auf: die Schweiz (Graubünden und Sion), Kanada (Calgary), Japan (Sapporo), Österreich (Graz) und Türkei (Erzurum). Mal wehrten sich die Bürger, mal weigerte sich die Politik (Host-City-Vertrag! Kosten!), mal das IOC (Erzurum). Mag sein, dass Stockholm und Mailand Konzepte vorlegen, die besser und kostenschonender sind - vor allem mit Blick auf die gigantisch überteuerten Spiele von Sotschi 2014. Aber letztlich erzählt das alles weniger von der Stärke der Schweden und Italiener, sondern vom tiefen Misstrauen, das den Olymp noch immer umweht.

Stockholm gerät gerade sogar kurz vor der Ziellinie ins Schlingern. Die Schweden schafften es bis zuletzt nicht, finanzielle Zusagen aus der Politik zu sichern, Fristen verstrichen, das IOC machte lange gute Miene - es konnte ja schlecht den vorletzten Bewerber vergraulen. Unter der Woche rügte es die Schweden dann öffentlich, da ist man plötzlich nicht mehr ganz so flexibel. Bleibt noch Italien: Da erinnert zumindest das populistische Politik-Klima zunehmend an Autokratien mit Olympia-Ambitionen.

Und erst mal ist ja noch China an der Reihe, der letzte Winter-Gastgeber auf der Südost-Tournee von Sotschi (2014), Pyeongchang (2018) und Peking (2022). Das Land verwandelt sich gerade in einen digitalen Überwachungsstaat, an dem George Orwell seine Freude hätte (Transparenz? Frieden?). Und manch kundiger Funktionär, der vor Ort schon mal eruiert hat, wie die Chinesen gerade ihre Wintersportanlagen hochziehen, befürchtet in Sachen Gigantismus und Kosten ein zweites Sotschi - nur "dreimal so schlimm".

Das sieht dann alles doch recht vertraut aus. Auch durch eine nachhaltige Glasfassade betrachtet.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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