Süddeutsche Zeitung

Olympia:Sommer bleibt Sommer

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Bei der Neu-Terminierung der Olympischen Spiele von Tokio spielt das Wohl der Athleten erneut eine kleine Rolle. Das örtliche Organisationskomitee beschäftigt vor allem die Frage, welche zusätzlichen Kosten es stemmen muss.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die rot-graue Uhr am Hauptbahnhof von Tokio tickt jetzt wieder anders, das wird ihr guttun. Im vergangenen Sommer wurde sie aufgestellt, um etwas Besonderes zu sein, nämlich die Botschafterin eines Weltereignisses als offizielle Countdown-Zählerin für die Olympischen Spiele in Tokio. Sie versah ihren Dienst zuverlässig, es gab keine Klagen. Dann kam das neuartige Coronavirus, die Pandemie, die Entscheidung, die Spiele zu verlegen. Es war nicht mehr klar, bis zu welchem Moment die Uhr die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden herunterzählen sollte. Auf einmal war sie nur noch eine ganz normale Bahnhofsuhr mit Digitalanzeige. Uhrzeit, Datum, mehr erzählte sie nicht. Für eine Uhr, deren Dienst im Juli 2019 mit viel Tamtam und Rampenlicht begonnen hatte, muss das eine schlimme Herabwürdigung gewesen sein. Aber seit Montag ist das Datum für die Olympia-Eröffnung ja auch offiziell gefunden: 23. Juli 2021. Die Uhr zählt wieder. Noch 479 Tage, noch 478 ...

Eine Überraschung ist die Nachricht nicht mehr gewesen, als das Tokioter Organisationskomitee (OK) nach seiner Vorstandssitzung am Montagabend eilig eine Pressekonferenz anberaumte. OK-Präsident Yoshiro Mori und Geschäftsführer Toshiro Muto verkündeten, was vorher schon durchgesickert war: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt sich auf keine neue Idee ein, auch wenn die Verlegung vielleicht eine Chance gewesen wäre, die Spiele aus der Tokioter Sommerschwüle in eine für Sportler angenehmere Jahreszeit zu versetzen.

Aber der Herbst war ja ausgeschlossen gewesen durch die frühe Festlegung auf einen neuen Termin "spätestens im Sommer 2021". Und Olympia als Frühjahrsfest zu begehen, war am Ende wohl auch nur so eine Idee von Leuten wie der Tokioter Gouverneurin Yuriko Koike, die zu gerne die Marathonwettbewerbe aus der kühleren Stadt Sapporo im Norden des Landes zurück in ihre Metropole geholt hätte. Stimmt schon, der Frühling sei im Gespräch gewesen, sagte Yoshiro Mori, aber am Ende habe man unnötigem Zeitdruck vorbeugen wollen: "Wir wollten, dass die Athleten mehr Raum für die Qualifikation haben." Es bleibt also beim Sommertermin, nur ein Jahr später: Olympia vom 23. Juli bis 8. August, danach dann die Paralympics vom 24. August bis 5. September.

Das IOC erklärte, die neuen Termine "geben Gesundheitsbehörden und allen, die mit der Organisation der Spiele zu tun haben, das Maximum an Zeit, um mit der ständig wechselnden Landschaft und den Unterbrechungen durch die Covid-19-Pandemie umzugehen". Gleichzeitig würden weitere Änderungen im Sportkalender auf ein Minimum reduziert, "im Interesse von Athleten und internationalen Verbänden".

Ob die Pandemie im Sommer 2021 wirklich so überwunden ist, dass sorgenfreie Spiele stattfinden können, kann keiner sicher sagen. Es gilt der trügerische Zweckoptimismus der Ringe-Vermarkter. Relativ klar ist dagegen, dass das Wohl der Athleten nicht der erste Grund für die Wahl des neuen Termins war. Im ausgereizten Sportkalender sucht das IOC immer das Zeitfenster, das sich am besten verkaufen lässt. Bei der Einschätzung bedrohlicher Epidemien mag es bisweilen daneben liegen. Aber den Fehler, mit seinen Spielen gegen die populären Profiballsport-Ligen Europas und Amerikas anstrahlen zu wollen, macht das IOC nicht. Das würden die diversen Fernsehrechte-Inhaber wohl auch nicht mitmachen, von deren Geld das IOC hauptsächlich lebt. Und dass das Sportjahr 2021 minimal beeinflusst wird, kann man so auch nicht sagen. Die Leichtathletik-WM in Eugene ist schon auf 2022 verschoben, was die Leichtathletik-EM in München und die Commonwealth Games in Birmingham infrage stellt. Die Schwimm-WM in Fukuoka muss sich auch bewegen.

Aber es hilft ja nichts. Dass in diesem Sommer keine Spiele stattfinden können, ist unstrittig. Athleten und Sportverbände haben vernünftigerweise selbst darauf gedrängt, und nun müssen eben alle improvisieren. Die Hauptlast der neuen Lage haben ohnehin die Japaner zu tragen. Die müssen das Riesenereignis jetzt irgendwie von einem Jahr ins nächste wuchten. 12,6 Milliarden US-Dollar haben die Spiele Japan bisher offiziell gekostet. Die Verlegung dürfte weitere Milliarden Steuergeld verschlingen. Groß ist zum Beispiel die Frage, was in dem zusätzlichen Jahr bis zu den Spielen mit den provisorischen Sportstätten wird, die auf dem Wege sind, fertig zu werden. Wieder abbauen? Nächstes Jahr wieder aufbauen? Andere Stadien müssen für die Wochen der Olympischen und Paralympischen Spiele neu gebucht werden, nachdem sie zu den ursprünglich vorgesehenen Zeiten ungenutzt bleiben. "Das wird Kosten verursachen", sagt OK-Geschäftsführer Muto, "und die werden wir Posten für Posten überdenken müssen."

"Der Zeitplan für die Spiele ist der Schlüssel bei der Vorbereitung", sagt OK-Präsident Mori, "das wird unseren Fortschritt beschleunigen." Getrödelt wird nicht. Am Dienstag meldete das Organisationskomitee, dass bereits gekaufte Tickets auch 2021 gültig sind. Wer 2021 nicht kann, bekommt den Preis erstattet. Die olympische Flamme bleibt im ganzen April in der Präfektur Fukushima, wo in der vorigen Woche die Fackelstaffel hätte starten sollen. Interessierte können sie dort im Trainingszentrum J-Village besuchen. "Über den genauen Plan danach wird noch entschieden", teilt ein Sprecher mit. Die Uhr am Hauptbahnhof scheint damit klarzukommen, dass sie jetzt ein paar Tage mehr herunterzählen muss.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2020
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