Süddeutsche Zeitung

Olympia:Russland blickt beleidigt auf Rio

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Da können Fans anderer Länder noch so viel buhen: Trotz Dopings ist das Interesse in Russland groß. Die Athleten sollen es der Welt so richtig zeigen.

Von Julian Hans, Moskau

Es kann kein Zweifel bestehen. Dass der Doping-Skandal als Druckmittel benutzt wird, dass die russischen Leichtathleten in Rio nicht starten durften und die Para-Olympioniken auch nicht, dass die Wada-Kontrolleure nie bei den Amerikanern fündig werden, dass die ausländischen Journalisten in ihren Berichten immer nur antirussische Schablonen abliefern - das alles kann nur eines bedeuten: "Bei den Spielen in Rio läuft eine organisierte Verleumdungs-Kampagne gegen die russische Mannschaft, die Teil eines von den USA aufgebauten Systems ist, um international Druck auf Russland auszuüben".

Sport sei nichts anderes als eine Projektion von Krieg

So schreibt es der Politologe Georgij Filimonow in der Zeitung Iswestija. Filimonow ist Direktor eines reaktionären Thinktanks, der überall Verschwörungen gegen Russland ausmacht. Die Iswestija gehört zu den eifrigsten, wenn es darum geht, das nationalpatriotische Lager im Kreml und im Volk anzusprechen. In zugespitzter Form gibt dieser Kommentar trotzdem ziemlich gut wieder, wie man aus Russland nach Rio blickt: Vielleicht gab es ein paar Unsauberkeiten, aber dass jetzt alle auf uns zeigen, ist ungerecht.

Und es ist erst Recht ein Grund, sich anzustrengen und es allen zu zeigen! Die Trennung von Sport und Politik habe es in Wahrheit doch nie gegeben, schreibt Filimonow und widerspricht damit ganz nebenbei den regelmäßig vorgetragenen Beteuerungen von Präsident Wladimir Putin und Sportminister Vitali Mutko. Vielmehr sei Sport nichts anderes als eine Projektion von Krieg und die russischen Teilnehmer Helden. "Ungeachtet des gewaltigen internationalen Drucks erfüllen sie die Erwartungen von Millionen russischer Fans, indem sie ihre Träume erfüllen, die Ehre der Heimat verteidigen - und siegen".

Tatsächlich hört man immer wieder russische Medaillengewinner in die Mikrofone des Staatsfernsehens rufen: "Wir sind eine sportliche Großmacht!" Auch wenn es nicht für eine Medaille reicht, liegt die Begründung nahe. Als Darja Klischina, die einzige Leichtathletin, die vor Gericht ihren Start für Russland durchsetzen konnte, am Mittwoch mit einem neunten Platz im Weitsprung ausschied, hieß es, die Politik des Internationalen Leichtathletik-Verbandes habe sich "verhängnisvoll" ausgewirkt. "Die Probleme mit der Zulassung haben ihr nicht erlaubt, mit ganzer Kraft teilzunehmen", erklärte der Moderator des Kanals Rossija.

Dem Interesse an Olympia konnten die Doping-Skandale nichts anhaben

Dem Interesse an Olympia konnten die Doping-Skandale nichts anhaben. Eher ist es jetzt noch zusätzlich patriotisch aufgeladen. Wenn es Medaillen für Russland gab, kommt Rio in den Fernsehnachrichten oft vor dem Krieg in Syrien oder dem neu zugespitzten Konflikt um die Krim. Laut einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums schauen die meisten Menschen in Russland die Spiele gelegentlich (42 Prozent), jeder Vierte nur in den Nachrichten. Richtige Olympia-Fans sind 16 Prozent, sie verfolgen die Wettkämpfe "systematisch". Aber daran, dass die russische Mannschaft viele Medaillen mitbringt, glauben fast zwei Drittel (63 Prozent).

Diejenigen, die wegen des Doping-Skandals nicht dabei sein durften, heizen von zuhause aus kräftig mit ein. Als die Entscheidung über den Ausschluss der Paraolympischen Mannschaft fiel, startete Russlands Leichtathletik-Star Jelena Issinbajewa über Instagram eine Kampagne unter einem russischen Hashtag, der übersetzt lautete: "#DieParaolympionikenSindRusslandsStolz".

Der Läufer Sergej Schubenkow, der ebenfalls nicht starten durfte, sah sich für Russlands größte Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda den Lauf über 110 Meter Hürden an und kommentierte: "Sie sind langsam gelaufen. Es war langweilig".

Das Buhen des Publikums und das Verhalten anderer Athleten in Rio gießt zusätzlich Wasser auf die Mühlen der Beleidigten. Als die US-Schwimmerin Lilly King nach ihrem Sieg über 100 Meter Brust die zweitplatzierte Russin Julia Jefimowa mit dem Spruch düpierte: "Mein Sieg ist ein Sieg für den sauberen Sport", klagte diese über "Krieg": "Für gewöhnlich hören alle Kriege bei Olympia auf, doch sie haben einen Weg gefunden, um Russland zu schlagen und die Athleten zu benutzen. Das ist so unfair". Dabei hat Jefimowa allerdings vergessen, dass Russland schon zwei Kriege während Olympia angefangen hat: Den Georgien-Krieg im August 2008 während der Spiele in Peking. Und die Besetzung der Krim im Februar 2014 während der Abschlussfeier in Sotschi.

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