Süddeutsche Zeitung

Olympia-Absage von Thomas Röhler:Mein Körper, die Baustelle

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Rückenprobleme zwingen Speerwerfer Thomas Röhler zur Absage für Tokio. Auch der zweite Olympiasieger aus Rio wird die Spiele womöglich verpassen - die deutschen Leichtathleten kämpfen wenige Wochen vor Olympia mit ihrer Form.

Von Saskia Aleythe

Irgendwas tut immer weh. So konnte man Thomas Röhler verstehen, als er Anfang Juni in Braunschweig erklärte, warum er bei seinem Comeback bei den deutschen Meisterschaften nur einen einzigen Wurf zeigen konnte. Als im Stadion noch Speere flogen, hatte Röhler schon seine Tasche gepackt. Der Brustmuskel zwickte, aber nein: größere Sorgen mache er sich nicht im Hinblick auf Olympia, "das wirft mich kein Stück zurück". Ob das eine Baustelle sei, die er an seinem Körper schon kenne? "Wir sprechen hier über Speerwerfen", antworte Röhler, das sollte dann heißen: Baustellen gibt es da überall.

Tatsächlich ist es nun nicht die Brust, sondern der Rücken, der dem Olympiasieger von Rio eine Reise nach Japan unmöglich macht: Am Montag sagte der 29-Jährige für die Spiele ab, "ich muss jetzt auf meinen Körper hören, da ich meinen Sport noch ein paar Jahre auf Top-Niveau ausüben möchte. Am Ende hat meine Gesundheit Vorrang". Es ist die erste Gewissheit in dieser Woche der Wahrheit, die auf viele Kollegen noch zukommt: Am Mittwoch nominiert der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine Gesandten für Tokio - und Röhler ist nur einer der Wackelkandidaten, die bis zuletzt mehr Fragezeichen als Antworten fabriziert haben.

Mit 90,30 Metern hatte Röhler 2016 das erste Speerwurf-Gold für Deutschland seit 44 Jahren gewonnen; 2o18 nahm er nach EM-Gold in Berlin ein spontanes Bad im Wassergraben der Hindernisläufer - doch auf welche Reisen er den Speer heute noch schicken kann, wissen nur noch er und sein Trainer. Ein "schicksalhaft schönes Jahr" sei 2020 gewesen, sagt Röhler: Durch die verschobenen Spiele konnte er bei der Geburt seines ersten Kindes dabei sein. Wettkämpfe bestritt er das ganze Jahr über keine. Wer seine Einträge in den sozialen Netzwerken verfolgte, musste aber keine Zweifel an seiner Fitness haben: Mal schubste er Traktorreifen durch die Trainingshalle, mal balancierte er mit Gewichten oder auf einem Fahrrad auf einer Slackline.

Schon im Mai musste Röhler seine Teilnahme an zwei Meetings absagen - der Rücken

Für die letzte offizielle Weite muss man bis zur WM 2019 zurückgehen, damals scheiterte Röhler mit nicht mal 80 Metern in der Qualifikation. In Braunschweig waren es mit lädierter Brust nochmal über zehn Meter weniger, Röhler machte seinen Versuch ungültig. Wie es um sein Selbstbewusstsein bestellt sei? "Ich weiß, was ich trainiert habe", sagte er und wollte selbstsicher wirken. Schon Ende April waren die Rückenprobleme aufgetaucht, der geplante Wettkampfstart Mitte Mai verzögerte sich bis in den Juni hinein. Zwei Wochen nach Braunschweig musste er auch seine Teilnahme am nächsten Meeting in Madrid absagen, sprach von einem Wettlauf gegen die Zeit. Am Dienstag in Luzern hätte er die letzte Chance auf einen Leistungsnachweis gehabt. Dem DLV nimmt er mit seiner Absage eine Last der Entscheidung ab: Nur drei deutsche Speerwerfer dürfen nach Tokio - und Johannes Vetter, Julian Weber und Bernhard Seifert präsentierten sich zuletzt in weit besserer Form als Röhler.

Überhaupt, Johannes Vetter: Längst ist er es, der dem DLV die Freuden bereitet, am Wochenende gelang dem Vierten von Rio im sechsten Wettbewerb in Folge ein 90-Meter-Wurf, er steht mit großem Abstand (96,29) an der Spitze der Weltrangliste. "Aus meiner ganz persönlichen Sicht geht er gerade ein sehr hohes Risiko ein", hatte Röhler die vielen Wettbewerbe und enormen Weiten seines Konkurrenten in Braunschweig kommentiert, "90 Meter-Würfe hinterlassen Spuren am Körper. Das ist einfach so." Vetter wiederum teilte später via Sport 1 mit: "Aus seiner persönlichen Sicht sollte er sich lieber auf sich und seinen Gesundheitszustand konzentrieren. Der ungültige 68-Meter-Wurf von ihm bei den Deutschen Meisterschaften sah weitaus ungesünder aus als jeder 90-Meter-Wurf von mir in diesem Jahr." Dass hohe Kräfte auf den Körper wirken, sei unbestritten, und dann gab es noch eine Spitze von Vetter: "Bei technisch unsauberen Würfen ist das weit gefährlicher."

Röhler und Christoph Harting waren die einzigen Olympiasieger der deutschen Leichtathleten in Rio, auch dem Diskuswerfer droht das Aus für Tokio. Im internen Ranking liegen mit Clemens Prüfer, David Wrobel und Daniel Jasinski drei Norm-Erfüller vor ihm, Hartings Norm stammt noch aus 2019. Nach den Absagen von Stabhochspringer Raphael Holzdeppe und Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz-Emmerich stehen auch große Fragezeichen hinter Namen wie Christina Schwanitz, Gina Lückenkemper oder Konstanze Klosterhalfen, die sich zuletzt mit Rückenproblemen plagte. Das haben die Speerwerfer dann nicht exklusiv, vor allem nicht in diesem Jahr: Baustellen gibt es überall.

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