Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele:Erhört die Athleten

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Das IOC hält trotz Pandemie an Olympia in Tokio fest. Jetzt sind es vor allem die Sportler, die das vorleben, was man von ihrer Führung erwarten sollte: Weitsicht und offene Debatten.

Kommentar von Johannes Knuth

Noch brennt die olympische Flamme. Ein Flieger, der das Feuer aus Griechenland abholen soll, hob am Mittwoch in Tokio ab. Das Motto des Fackellaufs trug er in bronzenen Lettern auf dem Bug: "Hoffnung leuchtet uns den Weg." Ab dem 26. März soll die Flamme durch Japan bis nach Tokio getragen werden, am 24. Juli sollen dort die Sommerspiele eröffnet werden. Die japanische Delegation, die ursprünglich zur Übergabe der Fackel nach Athen reisen wollte, blieb aber daheim, wegen der Corona-Gefahr. Selbst den Olympiamachern fällt es zunehmend schwer, Normalität zu simulieren, wo längst keine mehr ist.

Wir befinden uns im Jahre 2020, vier Monate vor Anbruch der Olympischen Sommerspiele. Die ganze Welt ringt mit einer Pandemie, deren Höhepunkt vielleicht bald erreicht wird, vielleicht auch erst im kommenden Sommer oder später. Die ganze Welt? Nein, eine von Sachverwaltern bevölkerte Zentrale in Lausanne hört nicht auf, unbeugsam Widerstand gegen Argumente und Rationalität zu leisten, zumindest öffentlich.

"Das Internationale Olympische Komitee bekennt sich weiter voll zu den Spielen 2020 in Tokio", teilte es am Dienstag erst wieder mit. Man ermutige auch weiter alle Athleten, ihre Vorbereitungen fortzusetzen, "so gut sie es können". Abgesehen davon, dass die Depeschen aus Lausanne immer mehr an Durchsagen der Deutschen Bahn erinnern, die planmäßige Ankünfte versprechen, während eh alle wissen, dass der Zug 45 Minuten später und mit umgekehrter Wagenreihung eintrifft - sie stoßen vermehrt auf scharfe Kritik.

Ekaterini Stefanidi, die Stabhochsprung-Olympiasiegerin und Athletensprecherin im Leichtathletik-Weltverband, sagte jetzt der Agentur Reuters, dass das IOC zunehmend die Gesundheit der Athleten gefährde. Viele Regierungen, darunter ihre griechische, raten der Bevölkerung derzeit zur Isolation, Trainingshallen und öffentliche Räume seien geschlossen. Durch die Aufforderung, einfach weiterzutrainieren, fühle sie sich unter Druck gesetzt, diese Vorschriften zu umgehen. Verschärfend komme hinzu, dass Konkurrentinnen in anderen Ländern zuletzt noch offene Hallen vorfanden. Das Problem sei dabei weniger, dass das IOC auf Zeit spiele, sagte Stefanidi - sondern dass es nicht offen kommuniziere, keine alternativen Pläne aufzeige, die die Sorgen der Athleten lindern könnten.

Zuspruch kommt mittlerweile auch aus dem IOC: "Diese Krise", sagte Hayley Wickenheiser mit Blick auf das Virus, "ist größer als die Olympischen Spiele." Wickenheiser gewann mit Kanada viermal Olympiagold im Eishockey, sie ist mittlerweile in der IOC-Athletenkommission und "Medizinerin in Ausbildung, die gerade an den Frontlinien der Notaufnahme" arbeite. Die dortigen Eindrücke hätten ihre Meinung geändert: Die sture Art, mit der das IOC an seinen Plänen für den Sommer festhalte, finde sie "gefühllos und unverantwortlich". Man kann ihr schwer widersprechen: Wie muss man sich vorkommen, in einen Wettstreit um die besten Trainingsbedingungen gehetzt zu werden, während Ärzte in den Krankenhäusern um Menschenleben kämpfen?

Dopingkontrollen nehmen ab

Und das IOC und sein deutscher Präsident Thomas Bach? Das ließ am vergangenen Samstag noch ein gut besuchtes Box-Qualifikationsturnier in London losrollen, das erst am Montag abgebrochen wurde. Bach, den mancher Verhandlungspartner als Sturkopf erlebt hat, vermittelte bis zuletzt ohnehin den Eindruck, als halte er das Olympiageschäft für größer als einen Virus. Er lobte die weltweiten Maßnahmen gegen die Pandemie, was auch die Austragung der Sommerspiele sichern werde.

Tatsächlich bricht durch die Maßnahmen ja gerade das olympische Fundament weg: Qualifikationen, Trainingsmöglichkeiten, die Dopingkontrollen, ein fundamentaler Pfeiler des fairen Wettstreits. China hatte seine Tests zu Beginn des Corona-Ausbruchs bereits heruntergefahren, zuletzt schlossen Kontrolllabore in Spanien, Italien, Kanada. Die deutschen Tester arbeiten derzeit weniger und weniger intensiv, ohne die wichtigen Blutkontrollen etwa, weil die dafür zuständigen Ärzte, klar, anderweitig beansprucht sind, sagte Nada-Chefin Andrea Gotzmann der Deutschen-Presse-Agentur: "Die allgemeine Situation ist weltweit äußerst kritisch."

Selbst wenn sich die Lage bis Mitte Juli entspannen sollte: In Tokio würden Athleten unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen aufeinandertreffen. Der Chor derer, die eine Absage fordern, hebt da gerade hörbar an, von Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler bis zu Reit-Olympiasiegerin Isabell Werth. Auch wenn noch nicht alle Athleten darin einstimmen wollen.

Weitsicht, Einfühlsamkeit, offene Debatten: Es sind jedenfalls vor allem die Athleten, die derzeit das vorleben, was man von ihrer Führung erwarten sollte.

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SZ vom 19.03.2020
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