Süddeutsche Zeitung

Nordderby zwischen Werder und dem HSV:Wie in besseren Zeiten

Lesezeit: 3 min

Energischer Kampf, dauererhitzte Gemüter, Streit über den Schiedsrichter: Das erste Nord-Derby zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen in der zweiten Liga erinnert an glorreiche Tage.

Von Thomas Hürner, Bremen

Als die Spieler des Hamburger SV an einem heißen Sommertag gerade mit der Arbeit fertig waren, warteten die Besucher bereits vor dem Trainingsgelände im Volkspark. In der Vergangenheit waren sie nicht immer in Frieden gekommen, aber dieses Mal wollten die Mitglieder der aktiven Fanszene lediglich ihren Einfluss geltend machen, den sie seit jeher im Umfeld des Traditionsklubs genießen.

Augenzeugen berichteten hinterher von einem eindringlichen Appell, der vom harten Kern der Anhängerschaft an Trainer und Spieler überbracht worden sei. Nach den drei verpassten Aufstiegen in Serie, so die Botschaft der HSV-Ultras, werde jetzt ein genaues Auge auf das Stadtderby gegen den FC St. Pauli und das Nord-Derby gegen Werder Bremen geworfen. Nicht weniger als unbedingte Leidenschaft und hingebungsvoller Kampf werde da erwartet, im Gegenzug könnten Erfolge in diesen Prestigeduellen für einiges entschädigen.

Insofern war das schon eine Ironie des Schicksals, dass die HSV-Ultras der Partie im Bremer Weserstadion fernblieben. Ob sie ihren Protest gegen das weiterhin beschränkte Zuschaueraufkommen hinterher womöglich bereut haben? Sie hatten ja einiges verpasst: Einen 2:0-Sieg ihres Teams, der unter den mitgereisten Fans mit minutenlangen "Derbysieger"-Sprechchören zelebriert wurde. Tanzende HSV-Spieler auf dem Terrain eines Erzrivalen, was nicht frei von Symbolik war nach der bitteren 2:3-Niederlage vor einem Monat bei der Hamburger Stadtmeisterschaft auf St. Pauli. Und nicht zuletzt eine packende Begegnung, deren Dramaturgie mühelos mithalten kann mit einigen Derby-Klassikern aus besseren Zeiten.

Werder-Spielmacher Leonardo Bittencourt übt Kritik an Schiedsrichter Stegemann

Werder gegen HSV, das sind insgesamt zehn Meistertitel, das sind auch Erinnerungen an alte Europapokaltage. Nach dem Bremer Abstieg standen sich die beiden Klubs nun erstmals in der Geschichte als Zweitligisten gegenüber, was zwar ein Einschnitt von beinahe historischer Tragweite ist, aber letzten Endes nur wenig Einfluss auf den Unterhaltungswert dieses Duells hatte. Im Gegenteil: Das Spiel hetzte rastlos von einem Höhepunkt zum nächsten - und es gebar in Schiedsrichter Sascha Stegemann einen Hauptdarsteller, dessen Leistung die Parteien sehr unterschiedlich bewerteten.

Der verletzte Werder-Spielmacher Leonardo Bittencourt, der zur Halbzeit beim Fernsehsender Sky interviewt wurde, formulierte den Bremer Frust über einige Entscheidungen des Spielleiters so: "Das sind so Tage, an denen ich mir Manuel Gräfe als Schiedsrichter zurückwünsche. 20.30 Uhr, Nordderby, das kann halt nicht jeder." Er war nicht der einzige aus der Bremer Delegation, der diese Meinung vertrat, denn nach dem 1:0-Führungstreffer durch HSV-Stürmer Robert Glatzel in der zweiten Minute hatten sich sich die Ereignisse im dauererhitzten Weserstadion geradezu überschlagen.

Nach einer halben Stunde und mitten in ihrer Drangphase ging den Bremern ihr Kapitän Christian Groß verloren, weil er, obwohl bereits verwarnt, auf der Jagd nach dem Ball mit beiden Beinen in HSV-Torwart Heuer Fernandes gerauscht war. Groß sah dafür nach einer halben Stunde Gelb-Rot, was trotz vehementer Bremer Proteste eine klare Sache war. Weniger eindeutig war jedoch die Szene kurz darauf, als sich Werder-Stürmer Ducksch auf dem Weg zum Hamburger Tor befand und im Zweikampf von HSV-Kapitän Sebastian Schonlau an Knie und Fuß getroffen wurde. Schiedsrichter Stegemann signalisierte sofort, dass das Spiel weiterläuft, auch der Kölner Videokeller griff nach einer kurzen Überprüfung der Szene nicht ein. Eine Fehlentscheidung, die Ducksch hinterher mit einer Portion Sarkasmus kommentierte: "Mittlerweile scheint es nur noch für eine Notbremse oder für Fouls von hinten in die Beine Elfmeter zu geben."

"Ich kannte das nicht", sagt Werder-Verteidiger Weiser über sein Malheur

Spätestens jetzt war von den Rängen einiges an Erregung gegenüber den Unparteiischen zu vernehmen. Und aus Frust wurde in der 42. Minute schäumende Wut: Ducksch hatte einen Freistoß ins Netz gezirkelt, das Weserstadion bebte. Der Treffer wurde allerdings aberkannt, weil sich der Bremer Verteidiger Mitchell Weiser in die Mauer des HSV geschlichen hatte. Dieses Mal lag Stegemann aber richtig, laut Regelwerk ist das seit zwei Jahren eine strafbare Handlung. Weiser hat seinem Team durch dieses sinnfreie Vergehen einen Bärendienst erwiesen, denn der Freistoß war perfekt getreten und wäre auch so im Tor gelandet. "Ich kannte das einfach nicht", sagte der tieftraurige Weiser: "Das tut weh für die Mannschaft." Zu allem Überfluss gab es aus Werder-Sicht kurz darauf eine zusätzliche Quittung, als Moritz Heyer das 2:0 für den HSV erzielte.

Einen Raum für verschiedene Interpretationen bot auch der Platzverweis Schonlaus, der zu Beginn der zweiten Hälfte den herandribbelnden Werder-Angreifer Romano Schmid auflaufen ließ. Stegemann sah darin ein taktisches Foul, was zur Folge hatte, dass auch der HSV in der letzten halben Stunde ohne seine zentrale Autorität auskommen musste. Für HSV-Coach Tim Walter war das eine fragwürdige "Konzessionsentscheidung". Der Werder-Trainer Markus Anfang sah das naturgemäß ganz anders.

Dass die Hamburger Defensive die Bremer Dauerattacken bis zum Ende schadlos überstehen konnte, zeugte für Walter hingegen von "absolutem Willen" und einem "weiteren Schritt" in der Entwicklung seines jungen Teams. Einen Tag freigeben wollte der HSV-Coach seinen Spielern deswegen aber nicht, die Mannschaft erschien am Sonntag gewissenhaft zum Training. Und sie hatte das beste Argument dabei, um die Gunst der HSV-Ultras zurückzugewinnen: den ersten Hamburger Nord-Derbysieg seit fünf Jahren.

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