Süddeutsche Zeitung

Playoffs der NFL:Der Zuckerguss-Tag des C.J. Anderson

Lesezeit: 3 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Diese kleine Gemeinheit konnte sich C.J. Anderson dann doch nicht verkneifen. Als die Partie praktisch gelaufen war, als der Sieg der Los Angeles Rams über die Dallas Cowboys bereits 90 Sekunden vor dem Ende des Viertelfinales in der US-Footballliga NFL unwiderruflich feststand, da drehte sich Anderson von der Mitte des Spielfeldes aus zur gegnerischen Ersatzbank und präsentierte den Pistolero-Gruß. Der ausgestreckte Zeigefinger mag unter Freunden als lässiger Gruß gelten, wenn es jedoch ein Sportler mit einem unterlegenen Gegner macht, dann kann man die Botschaft auch in etwa so interpretieren: Ihr Hornochsen, das habt Ihr davon, dass Ihr nicht auf mich aufgepasst habt.

Die Rams besiegten die Cowboys 30:22, sie trampelten sie regelrecht nieder, und das lag vor allem daran, dass Dallas tatsächlich nicht mit C.J. Anderson, 27, gerechnet hatte - warum auch? Der Laufspieler war in der Sommerpause trotz eines noch zwei Jahre gültigen Vertrags von den Denver Broncos entlassen worden, während der Spielzeit wurde er von den Carolina Panthers und den Oakland Raiders für nicht tauglich befunden. Seit vier Wochen ist er nur deshalb bei den Rams, weil Stammläufer Todd Gurley angeschlagen ist. Am Samstag erlief Anderson 123 Yards und erreichte zwei Mal die gegnerische Endzone.

"Wir verstehen uns prächtig, wir neiden dem anderen überhaupt nichts, wir kennen unsere Rollen", sagte Anderson nach der Partie über die Zusammenarbeit mit Gurley. Das war ja die Hoffnung gewesen für den Außenseiter aus Dallas: Sollte der eigene Running Back Ezekiel Elliot einen Leckerbissen-Tag erwischen und Gurley einen eher durchwachsenen, dann würden die Cowboys eine realistische Siegchance haben. Es kam jedoch so, dass Elliot gerade einmal 47 Yards erlief und Gurley, dem die Knieprobleme bisweilen noch immer anzusehen waren, diesen Leckerbissen-Tag mit 115 Yards und einem Touchdown schaffte. Den Zuckerguss-Tag jedoch, den erlebte Anderson, und er könnte nun zum Schlüsselspieler für die Rams werden.

Um zu wissen, wie das funktionieren könnte, sollte man ein paar Details aus der Karriere von Anderson kennen. Er wurde bei der Wahl der talentiertesten Nachwuchsspieler im Jahr 2013 von sämtlichen Profiklubs ignoriert, die Broncos gaben ihm nach ordentlichen Leistungen im Probetraining dennoch einen Vertrag. In den folgenden drei Spielzeiten setzte er sich jeweils gegen Ende der Saison gegen Stammläufer Ronnie Hillman durch, im Jahr 2016 gewann er mit den Broncos den Super Bowl, im Endspiel schaffte er 90 Yards und einen Touchdown.

Die Rams brauchten dringend einen Ersatzmann für Gurley

Die Broncos wollten ihn danach zum Stammspieler machen, wegen Verletzungen verpasste er immer wieder Partien, und er schien die Verantwortlichen in Denver nicht wirklich überzeugen zu können. Nach der vergangenen Saison - in der Anderson zum ersten Mal in seiner Karriere die für Laufspieler so bedeutsame 1000- Yard-Marke geknackt hatte - setzten ihn die Broncos überraschend vor die Tür. Auch die Panthers und die Raiders entließen ihn, und die Rams verpflichteten ihn am 18. Dezember, weil sie dringend einen Ersatzmann für Gurley brauchten und der Markt für talentierte Laufspieler gegen Ende der regulären Saison überschaubar war. Um das ganz deutlich zu sagen: Hätte sich Gurley nicht verletzt, würde Anderson die Playoffs vor dem Fernseher verfolgen.

"Die Rams haben mir diese Chance gegeben, und die möchte ich nutzen", sagt Anderson, wobei der Begriff "nutzen" in seinem Fall die Untertreibung dieser NFL-Saison ist. Gegen die Arizona Cardinals schaffte er 167 Yards Raumgewinn und einen Touchdown, die Zahlen beim letzten Spiel der regulären Saison gegen die San Francisco 49ers: insgesamt 145 Yards und ein Touchdown. Und nun eben diese phänomenale Leistung im ersten Playoff-Spiel. "Ich bin lange genug dabei, um zu wissen: Ein Erfolg in den Playoffs bedeutet lediglich, dass wir nächste Woche noch einmal spielen dürfen", sagte Anderson.

Der Gegner wurde in der Nacht zum Montag zwischen den New Orleans Saints und Titelverteidiger Philadelphia Eagles ermittelt, die Partie war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet. Das zweite Halbfinale erreichten die Kansas City Chiefs mit einem 31:13-Sieg über die Indianapolis Colts. Der 46 Jahre alte Colts-Kicker Adam Vinatieri, Akteur mit den meisten Punkten in der NFL-Geschichte, verschoss während der teils im Schneegestöber ausgetragenen Partie zwei eher machbare Versuche, was zu der skurrilen Statistik führte, dass Chiefs-Spielmacher Patrick Mahomes beim letzten Spiel mit zwei Fehlversuchen von Vinatieri gerade mal acht Jahre alt gewesen ist. Gegner der Chiefs sind entweder die New England Patriots oder die Los Angeles Chargers.

"Wir sind am nächsten Wochenende noch dabei", sagte C.J. Anderson am Samstagabend immer wieder, und er sagte auch, dass er durch die Rückschläge gelernt habe, seine Karriere in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Wie wäre es mit diesem hier: Sollten die Rams am kommenden Sonntag gewinnen, dann würde Anderson, der beim Draft ignoriert worden war und in dieser Saison von drei Vereinen entlassen wurde, zum dritten Mal in nur sechs Profijahren das Endspiel erreichen.

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SZ vom 14.01.2019
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