Süddeutsche Zeitung

Deutsche Talente im US-Football:1,6 Prozent Hoffnung

Lesezeit: 4 min

An diesem Wochenende sichern sich die NFL-Teams die besten Nachwuchsspieler. Auch deutsche Talente wollen sich für den Draft empfehlen - doch die Chancen auf eine große Karriere sind gering.

Von Celine Chorus

Besser hätte es für Alexander Ehrensberger, 21, nicht laufen können: September 2020, zweiter Spieltag in der Division I-A, der obersten Stufe des College-Footballs in den USA, im Raymond James Stadium in Tampa sind im dritten Viertel noch etwas mehr als vier Minuten zu spielen. Jordan McCloud sieht Ehrensberger in seinem Rücken nicht kommen, als dieser sich von hinten auf ihn stürzt und mit seinem gesamten Gewicht zu Boden reißt.

Die Folge: Sechs Yards Raumverlust für die Universität von South Florida - und für Ehrensberger der Beginn eines neuen Kapitels. Im Debüt für die Universität von Notre Dame, deren goldene Helme auch außerhalb der USA bekannt sind, mit dem ersten Spielzug den gegnerischen Quarterback sacken? Der perfekte Einstand für einen Defensive Lineman.

Mit einem Stipendium ausgestattet ging Ehrensberger im Januar 2020 an die renommierte Universität im US-Bundesstaat Indiana, an der mit Joe Montana bereits einer der besten Quarterbacks der NFL-Geschichte gespielt hatte. Ehrensberger ist der erste in Deutschland aufgewachsene Spieler bei Notre Dame, denn im Gegensatz zu Equanimeous St. Brown, der bereits an einer US-amerikanischen High School Football spielte und inzwischen bei den Green Bay Packers unter Vertrag steht, sammelte Ehrensberger - mit Ausnahme von seinen sechs Monaten als Austauschschüler in Maine - all seine Erfahrungen in Deutschland. In der U19 wurde er als externer Spieler einer anderen Schule für das Theodor-Fliedner-Gymnasium in der German Football League Juniors (GFLJ) eingesetzt.

Durch "PPI Recruits" ergatterte Ehrensberger eines der begehrten Stipendien in den USA

Ohne fremde Hilfe sind die Chancen, den Durchbruch im US-Football zu schaffen, für deutsche Talente sehr gering. "Wenn man die nötigen Anforderungen mit sich bringt, ist man noch weit davon entfernt, rekrutiert zu werden", sagt Ehrensberger: "Es geht auch darum, gesehen zu werden." So stellen viele Spieler aus Europa trotz der geringen Chancen, dass ihre Videos tatsächlich von den US-Trainern angeschaut werden, Mitschnitte ihrer besten Szenen zusammen, posten diese in den sozialen Medien oder senden sie direkt an US-amerikanische Universitäten. Durch verschiedene Plattformen ist es für europäische Talente inzwischen einfacher geworden, auch ohne den Schritt über eine High School für die begehrten Stipendien in Betracht gezogen zu werden.

Die Organisation "PPI Recruits" hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schnittstelle zwischen Talenten aus Europa und den Programmen der National Collegiate Athletic Association (NCAA) zu bilden. Im Sommer 2018 absolvierte Ehrensberger mit anderen geförderten Spielern mehrere Sichtungstrainings in den USA. Einen weiteren Besuch im Herbst nutzte er, um sich einzelne Universitäten, darunter auch Notre Dame, anzusehen. "Ich habe zehn Tage nur an Türen geklingelt, um mich vorzustellen", erinnert sich Ehrensberger. Seine Bemühungen sollten sich auszahlen: Eine Woche später hatte er das Angebot von Notre Dame auf dem Tisch liegen.

Als deren Co-Trainer Mike Elston im Januar 2019 nach Deutschland reiste, um ihn vom Football-Programm seiner Universität zu überzeugen, war die Entscheidung für Ehrensberger gefallen. Bis zur schriftlichen Bestätigung mussten sich beide Seiten jedoch auf ihre verbalen Versprechen verlassen, denn nach NCAA-Statuten dürfen die Spieler ihren Vertrag erst im Dezember eines Jahres unterschreiben. In den Monaten vor seiner Abreise arbeitete Ehrensberger an Kraft und Kondition, um schneller an das physische Niveau in den USA anknüpfen zu können.

Das Stipendium an einer US-amerikanischen Universität mag die besten Chancen bieten, als Spieler aus Europa den Sprung in die National Football League (NFL) zu schaffen. Seit Jahren ist die NFL allerdings bemüht, sich internationaler auszurichten, um dadurch neue Märkte, insbesondere in Europa, zu erschließen. So wurde 2017 das International Player Pathway Program ins Leben gerufen, durch das ausländische Spieler die Chance erhalten, an den Trainingseinheiten der NFL-Teams teilzunehmen. Über das Programm konnte sich auch der Stuttgarter Jakob Johnson, 26, für einen NFL-Kader empfehlen, er spielt seitdem für die New England Patriots.

Moritz Böhringer, 27, ist es sogar gelungen, als erster nicht-amerikanischer Spieler im NFL-Draft gepickt zu werden, ohne je ein College besucht zu haben. Der Draft ist die Veranstaltung vor jeder NFL-Saison, in der sich die Teams neue junge Spieler aussuchen. "Meine Athletik hat die fehlende Erfahrung unwichtiger erscheinen lassen", erklärt Böhringer. Nach mehreren Anläufen musste er sich jedoch eingestehen, dass seine körperlichen Fähigkeiten allein nicht ausreichen, um es in den festen Kader eines NFL-Teams zu schaffen. "Es gibt in Deutschland viele talentierte Spieler und auch viele Vereine, die gute Jugendarbeit leisten", sagt Böhringer. Um jedoch mit den Spielern aus den USA mithalten zu können, sollten deutsche Talente auf eine High School gehen und versuchen, sich dort für ein College zu empfehlen: "Wenn diese Ausbildung fehlt, ist man am Anfang hinterher."

Football ist für viele Jugendliche die einzige Chance auf einen College-Abschluss

Auch Ehrensberger ist die ersten Wochen in Notre Dame mit großer Ehrfurcht angegangen. Nach den ersten Einheiten ist ihm allerdings bewusst geworden, "dass es am Ende nur Football ist. Es ist der gleiche Sport, den ich auch in Deutschland gespielt habe". Doch während die Spielregeln in beiden Ländern dieselben sind, sind die Hoffnungen, die in den Football gesetzt werden, nicht zu vergleichen: Für US-amerikanische Spieler aus finanziell schwierigen Verhältnissen ist das Stipendium eine der wenigen Möglichkeiten, einen Abschluss an einer guten Universität zu bekommen. "Das kann das Leben einer Familie für immer verändern", sagt Ehrensberger.

Seit Jahren wird vielen US-amerikanischen Universitäten vorgeworfen, es mit den Studienleistungen nicht allzu genau zu nehmen, um dadurch den eigenen sportlichen Erfolg zu sichern. "Der akademische Standard in Notre Dame ist sehr hoch", betont Ehrensberger, der einen Abschluss sowohl in Psychologie als auch in Volkswirtschaftslehre anstrebt. So ist der von der NCAA vorgeschriebene Notendurchschnitt von mindestens 2,0 in Notre Dame auf 2,8 (entspricht in Deutschland einer 2,3) angehoben worden. Mit 95,2 Prozent kann seine Universität auf eine der höchsten Abschlussquoten in den USA blicken.

An erster Stelle steht für Ehrensberger trotzdem der Sprung in die NFL. "Es ist ein Traum, auch den nächsten Schritt zu schaffen", sagt er. Dabei sprechen die Zahlen gegen seinen Traum: Statistisch gesehen schaffen es nur 1,6 Prozent aller College-Spieler in die NFL. Alle anderen genießen immerhin ein gutes Studium, für das sie wegen ihrer sportlichen Leistungen nichts zahlen mussten.

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