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Footballspieler Deshaun Watson:Sechs Spiele Sperre - aber ist das angemessen?

Lesezeit: 3 min

Die NFL suspendiert Quarterback Deshaun Watson nur kurz, obwohl 30 Frauen ihm sexuelle Belästigung vorwerfen. Wieder hat der US-Sport einen Skandal so gelöst, dass zwar viele mit dem Urteil leben können - aber große Debatten bleiben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Deshaun Watson wird also für sechs Spiele gesperrt. Das wirklich Interessante an diesem Urteil ist nicht die Länge der Sanktion, sondern wie vorhersehbar das alles war. Denn der Beschluss von Mediatorin Sue L. Robinson fällt so aus, dass alle Beteiligten einigermaßen zufrieden sein dürfen. Wie so oft im US-Profisport bei solchen Skandalen.

Der Quarterback der Cleveland Browns wird zwar gut ein Drittel der regulären Saison (17 Partien pro Team) verpassen, seinem Football-Verein aber in den bedeutsamen Momenten der kommenden Spielzeit zur Verfügung stehen. Watson selbst, durch seinen Wechsel von den Houston Texans zu den Browns in diesem Jahr der bestbezahlte Akteur in der Geschichte der NFL (230 Millionen Dollar für fünf Spielzeiten), muss wegen der sechs verpassten Partien auf lediglich 345 000 Dollar verzichten und darf sich weiterhin unschuldig nennen - auch wenn ihm 30 Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen haben.

Und die NFL kann sich rühmen, die Anschuldigungen ernst genommen, intensiv untersucht und eine harte Sperre von mindestens einem Jahr gefordert zu haben; wohl im Wissen, dass dies höchst wahrscheinlich nicht passieren würde. Es wird erwartet, dass Liga-Chef Roger Goodell das Urteil akzeptiert. Er könnte zwar bis Donnerstag sein Veto einlegen. Das gilt indes als eher unwahrscheinlich.

Das Urteil stellt also alle Beteiligten einigermaßen zufrieden - aber ist es auch gerecht und angemessen?

Seit März 2020 wurden 25 Zivilklagen eingereicht - in den meisten Fällen einigte sich Watson außergerichtlich

Von vorne: Seit März 2020 hat es 25 Zivilklagen gegeben; jeweils von Frauen, die behaupten, dass sie von Watson während Massagen sexuell belästigt worden seien. Er habe, so die Vorwürfe, mehr gewollt als nur die Pflege seiner müden Muskeln. Mit eindeutigen Gesten habe er versucht, sexuelle Handlungen von den Frauen an ihm zu erzwingen, und Frauen ohne ihr Einverständnis in seine sexuellen Handlungen einbezogen. In der Anklageschrift geht es zum Teil sehr explizit zu. Die Vorwürfe wurden strafrechtlich untersucht, jedoch beschlossen zwei Gerichte im US-Bundesstaat Texas, jeweils kein Verfahren gegen ihn einzuleiten.

Blieben die Zivilklagen. Und da verkündeten Watsons Anwälte im Juni, sich in 20 Fällen außergerichtlich geeinigt zu haben. Eine Klage wurde fallengelassen, weil das vermeintliche Opfer seinen Namen nicht, wie vom Gericht gefordert, veröffentlichen wollte. Am Montag verkündete ein Anwalt von Watson, sich in drei weiteren Fällen mit den mutmaßlichen Opfern geeinigt zu haben, und auch in dem letzten noch offenen Fall wird eine außergerichtliche Einigung erwartet. Über die Summe ist nichts bekannt; fest steht nur, dass Watson dadurch weiterhin behaupten darf, unschuldig zu sein.

Watsons Ex-Klub aus Houston einigte sich ebenfalls außergerichtlich mit insgesamt 30 Frauen. Der Football-Franchise war vorgeworfen worden, das Verhalten des Spielers geduldet oder gar gefördert zu haben; insgesamt hatte Watson über einen Zeitraum von 17 Monaten Massagen bei 66 Frauen gebucht, von denen mehr als ein Drittel ihm ungebührliches Verhalten vorwarf. Die Einigungen mögen kein Eingeständnis von Schuld sein, aber damit ist der Fall nicht aus der Welt. An diesem Punkt setzt der Tarifvertrag zwischen NFL und Spielergewerkschaft an: Hat jemand durch sein Verhalten das Ansehen der Liga besudelt und damit, das Sakrileg im US-Sportkapitalismus, den Umsatz gefährdet?

Mediatorin Robinson verweist darauf, dass wegen des Tarifvertrages und im Vergleich zu früheren Fällen sechs Spiele Sperre angemessen seien

Es läuft in solchen Fällen oft so, dass die Liga eine harte Strafe fordert oder gar ausspricht; danach gibt es einen Einspruch der Spielergewerkschaft oder der Akteure, und das führt zu einer milderen Strafe. Ein paar Beispiele, die wichtig sind, weil Mediatorin Robinson nun sagte, sie habe sich daran orientiert: jeweils acht Partien Sperre für Kareem Hunt (2019, Browns) und Mark Walton (2020, Miami Dolphins), zehn Spiele Sperre für Jarron Jones (2021, ohne Verein) - alle wegen häuslicher Gewalt gegenüber Frauen.

In der Begründung von Robinson heißt es, dass Watson nicht gewalttätig gewesen sei und deshalb die geforderte Sperre für die komplette Saison inklusive Playoffs unverhältnismäßig gewesen wäre angesichts dieser früheren Urteile der Liga. Es sei jedoch erwiesen, dass Watson aufgrund seines Verhaltens die Regeln des Tarifvertrages verletzt und "sein raubtierhaftes Vorgehen ein schlechtes Licht auf die Liga und die Spieler geworfen" habe. Sie nennt sein Verhalten "ungeheuerlich" und spricht in der Begründung auch von sexueller Nötigung.

Heißt also: Watson, 26, hat sich sehr wohl etwas zuschulden kommen lassen. Die Frage ist nun, warum er nicht anderweitig dafür belangt wird.

Watson darf die Saisonvorbereitung mit dem Team absolvieren. Während der ersten drei Partien der Saison, die am 8. September eröffnet wird, darf er keinen Kontakt zu seinem neuen Verein haben; danach darf er wieder mit dem Team trainieren, am 23. Oktober dürfte er sein Debüt für die Browns bei den Baltimore Ravens feiern. Eine der Auflagen ist zudem, dass für die restliche Dauer seiner Karriere Watsons jeweiliger Verein festlegen wird, wann und von wem er massiert wird.

Sechs Spiele Sperre und ein Gehaltsverlust von 0,15 Prozent des laufenden Vertrages: Man kann darüber debattieren, ob das angemessen ist angesichts der nicht widerlegten Vorwürfe. Noch kann NFL-Chef Goodell Einspruch einlegen.

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