Süddeutsche Zeitung

American Football:Auf dem Rasen reanimiert

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Damar Hamlin von den Buffalo Bills kollabiert nach einem Zusammenprall auf dem Spielfeld - die Partie wird abgebrochen. Der 24-Jährige schwebt noch immer in Lebensgefahr.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es war eine gespenstische Szene im Footballstadion von Cincinnati: Die Akteure der Buffalo Bills knieten auf dem Spielfeld und beteten für den Teamkollegen Damar Hamlin, der hinter ihnen in einem Rettungswagen abtransportiert wurde. Er war im ersten Viertel des Monday Night Games der US-Profiliga NFL mit Tee Higgins von den Cincinnati Bengals zusammengeprallt und kollabiert. Hamlin musste noch auf dem Spielfeld reanimiert und mit Sauerstoff versorgt werden und wurde dann in ein Krankenhaus in der Nähe des Stadions gebracht. Die Partie wurde abgebrochen und auf unbestimmte Zeit verschoben.

Es sollte um Football gehen an diesem Abend und um die Frage, ob Bengals oder Bills das derzeit formstärkste NFL-Team sind. Es sollte um Unterhaltung gehen, Profisport ist nicht nur in den USA Teil der Entertainmentbranche, die pro Jahr etwa 20 Milliarden Dollar umsetzt. All das wurde völlig unwichtig, als klar wurde: Da kämpft ein 24 Jahre alter Mann wegen eines Spiels um sein Leben.

Der Zusammenstoß selbst wirkte beinahe unspektakulär - was eine Erinnerung daran ist, was für ein gefährlicher Sport Football ist. Kollisionen wie diese gibt es mehr als 50 in jeder NFL-Partie: Higgins fing einen kurzen Pass von Bengals-Quarterback Joe Burrow, nahm Geschwindigkeit auf, schlug dann einen Haken nach rechts und traf im Vollsprint auf Hamlin, der ihn packte und umriss. Hamlin stand auf, es sah so aus, als würde er durch die Maske an seinem Helm zu Hals oder Mund greifen wollen; dann kippte er nach hinten um und blieb regungslos auf dem Spielfeld liegen - und alle Akteure sahen sofort, dass etwas nicht stimmte. Buffalos Passempfänger Stefon Diggs weinte, die Spielmacher Burrow und Josh Allen umarmten einander, einige Spieler sanken auf ihre Knie und beteten.

Hamlin ist erst im September Stammspieler geworden, weil sich andere Teamkollegen verletzt hatten

Diggs fuhr später mit einigen Bills-Spielern ins Krankenhaus, um bei seinem Kollegen zu sein - seine Mutter Nina, mit der Hamlin vor der Partie noch ein Selfie am Rand des Spielfelds gemacht hatte, hatte Hamlin im Rettungswagen begleitet. Zahlreiche NFL-Profis, darunter Patrick Mahomes, J. J. Watt oder Lamar Jackson, übermittelten via Twitter Gebete und gute Gedanken. Basketballer LeBron James lobte nach der Partie der Los Angeles Lakers die Entscheidung der NFL, die Partie abzubrechen - es gebe an diesem Abend nur ein Thema: das Wohlbefinden des verletzten jungen Mannes.

Hamlin spielt seine zweite Profisaison. Er war erst im September Stammspieler geworden, aufgrund von Verletzungen anderer Akteure. Verletzungen gehören zu diesem Sport - noch zwei Erinnerungen: Kurz vor diesem Zusammenprall hatte es eine andere Kollision gegeben, auch Bills-Verteidiger Taron Johnson blieb danach minutenlang auf dem Rasen liegen. Wenig später kam die Nachricht, und es geht wirklich oft so routiniert zu in der NFL, Johnson sei mit einer Kopfverletzung ausgeschieden. Diese Nachricht an die TV-Zuschauer - die zweite Erinnerung - übermittelte Troy Aikman. Der ist nun Experte beim Sender ABC. Als Profi hat er mit den Dallas Cowboys in den 1990ern drei Titel gewonnen - und sagte in einem Interview, dass er sich aufgrund der vielen Zusammenstöße nicht an den Super Bowl XXX im Jahr 1996 erinnere, geschweige denn, dass er mitgespielt habe.

Die NFL hat in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Regeländerungen und Verbesserung des Equipments sehr viel dafür getan, das Verletzungsrisiko zu verringern - was allerdings im Falle dieser Liga und dieser Disziplin bedeutet: Pro Saison gibt es etwa 900 Verletzungen, 2018 waren es sogar 931, infolge derer jemand die Spielzeit verpasst. Pro Spielzeit kommen in der NFL etwa 1700 Profis zum Einsatz. Den Statistiken zufolge verletzt sich also mehr als die Hälfte aller Spieler - und es sind oft schwere Verletzungen mit langfristigen Konsequenzen: In der vergangenen Saison gab es zum Beispiel 187 Gehirnerschütterungen und 200 Kreuzbandrisse.

"Es war sofort klar, dass das was anderes ist", sagte Ryan Clark beim Sportkanal ESPN nach Hamlins Kollision. Clark hat 13 Jahre lang als Verteidiger in der NFL gespielt, wie Hamlin auf der Position Safety. 2009 gewann er mit den Pittsburgh Steelers den Super Bowl: "Man wartet selbst nach schlimmen Kollisionen darauf, dass ein Spieler den Daumen hebt als Zeichen, dass er okay ist. Als das nicht passiert ist, war für uns alle klar, dass dieser Traum, in der NFL zu spielen, zum Albtraum geworden ist. Es gibt viele Klischees über diese Sportart wie: 'Ich würde dafür sterben.' Wir haben heute gesehen, dass das wirklich passieren kann - bei einem Routine-Zusammenprall zweier der fittesten Leute auf der Welt."

Sowohl die Spieler als auch die Zuschauer seien darauf konditioniert, Verletzungen hinzunehmen oder sogar zu ignorieren: "Wir sind nicht darauf vorbereitet, dass ein 24 Jahre alter Mann bei einem Spiel sein Leben verlieren könnte."

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