Süddeutsche Zeitung

Real Madrid:Die Spieler wollen keinen harten Hund

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Von Javier Cáceres, Barcelona

Dass es nun um nichts mehr gehen würde als um Gesichtswahrung und darum, nicht auszurasten, um künftige Anstellungen nicht zu gefährden, das alles war Julen Lopetegui klar, als er am Sonntagabend letztmals als Trainer von Real Madrid im stickigen Pressesaal des Stadions Camp Nou des FC Barcelona vor die Medien trat. Und es war auch jenen klar, die ihm gegenübersaßen.

Lopetegui setzte sich, kreuzte die Arme und stützte sie auf dem Tisch vor ihm ab, als er die Fragen entgegennahm, die irgendwo zwischen Mitleid und Pietät changierten. Mit 1:5 hatte Real Madrid verloren, damit beim Erzrivalen FC Barcelona die fünfte Niederlage aus den vergangenen sieben Spielen kassiert, sich nach dem zehnten Spieltag auf den neunten Tabellenplatz der Liga herunterreichen lassen, der des spanischen Rekordmeisters unwürdig ist. "¡Julen, quédate!", skandierte Barcelonas Anhang hämisch: "Julen, bleib!"

So weit kommt es jetzt aber nicht. Bereits am Sonntag setzten ja die Meldungen ein, die davon berichteten, dass sein Nachfolger bereits feststehe und Antonio Conte heiße. Doch die Verhandlungen gerieten überraschend ins Stocken. Eines war ja klar gewesen: dass Conte über das Profil verfügt, das Reals Boss Florentino Pérez gefallen hätte. Conte wird von der Aura umweht, ein Mann der harten Hand zu sein. Aber der Transfer scheiterte. Und nun rückt ein noch weitgehend Unbekannter vorerst auf: Der frühere Real-Profi Santiago Solari, 42, derzeit Trainer der zweiten Mannschaft, tritt interimsmäßig die Nachfolge Lopeteguis an. Das wurde am Montagabend nach einer Krisensitzung Reals verkündet. Der Argentinier soll am Dienstag bereits erstmals das Training leiten.

Die Frage wird sein, ob Solari die Fähigkeit besitzt, sogleich die Spieler zu erreichen. Das Durchschnittsalter der Mannschaft, die gegen Barça unterging, lag bei 29 Jahren; der jüngste Profi war Raphaël Varane, 26 - und Weltmeister, rechnete Reals früherer Sportchef Jorge Valdano vor. Junge, unerfahrene, undisziplinierte Mannschaften bräuchten harte Hunde, sagte er. Aber bei Real hätten sie immer schon reife Kader gehabt, Spieler mit einer Vita, mit Erfolgen und Rückgrat, die nach Höflichkeit verlangen, dozierte Valdano.

Spieler wie Sergio Ramos. Ein wenig wirkten die Worte Valdanos, die um Mitternacht aus einem Radiostudio in Madrid übers Königreich strömten, wie ein Echo auf ebendiesen Ramos, 32. Der Kapitän war der Einzige gewesen, der sich in der Mixed Zone gestellt hatte, die wild tätowierten Hände in der schwarzen Synthetikhose vergraben, der den Reißverschluss des Hoodies bis zum Hals hochgezogen hatte und bei der letzten Frage eine Grundsatzerklärung abgab. Ob er meine, dass diese Mannschaft eine harte Hand benötige? "Die Gruppe zu verwalten, ist manchmal wichtiger, als taktische Kenntnisse zu haben", holte Ramos aus - und erklärte, dass alle zu gut wüssten, mit welcher Sorte Trainer Real Madrid die größten Erfolge erzielt habe. Eine unvollständige Liste des laufenden Jahrtausends gefällig? Voilà: Der achte und neunte Champions-League-Triumph kam unter dem milden Vicente Del Bosque zustande; der zehnte unter dem gemütlichen Carletto Ancelotti; Nummer elf, zwölf und dreizehn unter dem mindestens latent stets lächelnden Zinédine Zidane, der allen Ernstes sagte, er habe keine Ahnung von Taktik. Harte Hand? "Ich sag immer: Respekt verdient man sich. Respekt oktroyiert man nicht", sagte Ramos.

Seine Worte waren auf Conte gemünzt, vor allem aber an Pérez gerichtet, den glühenden Verehrer von Trainer-Autokraten wie Fabio Capello oder José Mourinho. Der Portugiese wurde ebenfalls kontaktiert. Doch er hängt vorerst bei Manchester United fest, sein Team gewann am Sonntag mit 2:1 gegen den FC Everton. Das geschah etwa zur gleichen Zeit, da Lopetegui in Barcelona ohnmächtig zusehen musste, wie seine Mannschaft dem Hattrick von Luis Suárez und den Toren von Coutinho und Arturo Vidal nur einen Treffer von Marcelo entgegensetzen konnte. Und das, obwohl Lionel Messi wegen einer Verletzung nur auf der Tribüne sitzen konnte. Der andere Abwesende, dieser auf Seiten von Real, hieß Cristiano Ronaldo, er arbeitet seit Juli für Juventus Turin. "Meinem Sohn haben sie 50 Tore geklaut", klagte der Vater von Julen Lopetegui in einem Interview. Denn ersetzt wurde Ronaldo nicht. Die Folge: Drei der letzten vier Treffer Madrids erzielte Marcelo - ein Linksverteidiger.

Überhaupt lässt die Kaderplanung, die in den Händen von Florentino Pérez liegt, zu wünschen übrig. Und ob der mit Künstlern gespickte Kader beim tendenziell defensiv denkenden Conte gut aufgehoben ist, gilt als fraglich. In jedem Fall fehlen Spieler, die vor ein paar Jahren noch von der Bank für Druck und Konkurrenz sorgten: James (FC Bayern), Pepe (Besiktas) oder Alvaro Morata (FC Chelsea), um einige zu nennen.

Vielleicht scheiterte der Transfer von Conte auch am nicht ganz durchgängig positiven Leumund. Morata etwa hat wie Diego Costa seinen Mitspielern bei der spanischen Nationalelf einiges über Conte erzählt, genauer: dass der Italiener "unausstehlich" sei, wie die Zeitung El País erfahren haben will. Reals neuer Torwart Thibaut Courtois weiß das aus erster Hand zu gut, er hatte Conte ebenfalls über. Auch andere Spanier, die Conte beim FC Chelsea kennenlernen mussten, flüsterten ihren Real-Kollegen eher unschöne Dinge ins Ohr. Die Wende in der Trainerfrage brachte der Montagabend, als sich Reals Präsidium notgedrungen traf. Dass Lopeteguis Ablösung beschlossen werden sollte, galt als sicher. Und so kam es. Solari wird am Mittwoch mit dem A-Team seinen Einstand geben, im Pokal bei der drittklassigen UD Melilla. Er dürfte indes nur als Statthalter firmieren - bis Mourinho frei ist. Oder der belgische Nationaltrainer Roberto Martínez, dessen Name am Montagnachmittag ebenfalls häufig genannt wurde. Aber vielleicht kommt auch alles anders, denn es ist immer noch Real Madrid.

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SZ vom 30.10.2018
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