Süddeutsche Zeitung

DFB-Niederlage in der Nations League:Der erste echte Rückschlag

Lesezeit: 3 min

Das 0:1 gegen Ungarn ist nicht nur die erste Niederlage unter Bundestrainer Flick - sondern gleich auf mehreren Ebenen ernüchternd. Auffällig ist die Ähnlichkeit der Probleme des FC Bayern und der Nationalmannschaft.

Von Martin Schneider, Leipzig

Am Ende des Abends waren viele Formulierungen für diese ersten 45 Minuten gegen Ungarn zusammengekommen. "Wirklich enttäuschend", urteilte Thomas Müller. Man habe "nicht stattgefunden", sagte Joshua Kimmich. "Eine Halbzeit zum Vergessen", war die Umschreibung, die Ilkay Gündogan wählte. Oliver Bierhoff unterstrich mit einer Wortwiederholung seine Sicht der Dinge, nämlich dass es "wirklich, wirklich schlecht" gewesen sei und Jonas Hofmann benutzte gleich Kraftausdrücke. Hansi Flick, eigentlich nicht bekannt für Superlative, erklärte sie unverblümt zur schlechtesten aller 28 Halbzeiten unter ihm als Bundestrainer.

Immerhin dem Vorwurf des Schönredens musste sich niemand in Leipzig stellen, aber auch schon der Versuch wäre schwierig gewesen. Nations-League-Gruppensieger wollte man ja werden, woran Kimmich auf dem Weg zum Mannschaftsbus ehrlicherweise nochmal erinnerte, "auch wenn man das in der ersten Halbzeit nicht ganz so gesehen hat". Das ist nicht mehr möglich, das abschließende Duell mit England am Montag in London hat nun vor allem psychologischen Charakter.

Statistisch ist das 0:1 (0:1) tatsächlich die erste Niederlage von Hansi Flick als Bundestrainer überhaupt, aber es war trotzdem vor allem die Art und Weise, die dieses Ungarn-Spiel nun zum ersten echten Rückschlag seiner immer noch kurzen Amtszeit machte. Auch, weil die Partie durchaus einen erwarteten Verlauf nahm. Ungarn, schon im Hinspiel stark und zuletzt mit einem 4:0-Sieg gegen England, agierte organisiert und körperlich robust. Die deutsche Mannschaft hatte gefühlt nicht die Bereitschaft, einem herzhaften ungarischen Bodycheck einen ebenso herzhaften entgegenzusetzen - und vor allem so gar keine Ideen, wie sie dieses festgefahrene Spiel aufbrechen können.

"Wir haben auch gemerkt, dass uns nicht viel einfällt", gesteht Kimmich

Spätestens nach dem Hacken-Tor von Adam Szalai, das noch unter der Kategorie "außergewöhnliches Ereignis" abgeheftet werden durfte, konnte man den Spielern beim Denken zuschauen. Was tun gegen diese massive Verteidigung? Durchkombinieren und wieder den Ball verlieren? Flanken versuchen ohne Kopfballspieler? "Das ist dann immer so ein bisschen ein Teufelskreis", sagte Kimmich, was eine schöne Erklärung war, weil sie niemandem direkt die Schuld zuschob: "Wir haben auch gemerkt, dass uns nicht viel einfällt, dann wird man auch ein bisschen unruhig." Dass die zweite Halbzeit tendenziell besser war, entsprach übrigens auch den Tatsachen, taugte aber nicht als Relativierung der Leistung.

Auf der Suche nach den Ursachen gab es am Abend dann verschiedene Ansätze. Flick, der augenscheinlich seine enorme Enttäuschung zu überspielen versuchte ("ab und zu sollte man nicht ganz seine Emotionen rauslassen") nahm zum Beispiel einen Teil der Schuld auf sich. Er habe ein taktisches Experiment gewagt und Jonas Hofmann als Rechtsverteidiger einer Viererkette aufgestellt. Hofmann hat zwar schon im DFB-Team Rechtsverteidiger gespielt (etwa gegen Armenien und Liechtenstein), aber zumindest gegen stärkere Gegner agierte Hofmann unter Flick tatsächlich bisher entweder als Rechtsaußen oder als Außenspieler mit einem zusätzlichen Verteidiger im Rücken. Und als Flick in der zweiten Halbzeit das System wieder umstellte, Thilo Kehrer brachte und Hofmann weiter nach vorne zog, wurde es auch besser - aber die deutsche Mannschaft schien in der ersten Halbzeit durchaus größere Probleme zu haben als die Positionierung von Jonas Hofmann.

Flicks Bekenntnis zum Taktik-Fehler schien eher ein Kniff zu sein, um Druck von seiner Mannschaft und speziell von einzelnen Spielern zu nehmen. Für Kehrer ging zum Beispiel der enttäuschende Serge Gnabry vom Platz. Timo Werner wirkte nicht zum ersten Mal verloren im Gewimmel der Laufwege. Dort fand sich auch Thomas Müller nicht zurecht, was schon eher als Alarmsignal zu deuten ist.

Wie hängt die Leistung der DFB-Elf mit der Lage beim FC Bayern zusammen?

Das führte zum nächsten Erklärungsansatz, denn viele Offensivspieler der deutschen Nationalmannschaft haben ja eine Sache gemeinsam: Sie spielen beim FC Bayern. "Man hat gemerkt, dass bei vielen die Phase im Verein nicht die leichteste ist", sagte Müller nach dem Spiel und weil er vermutlich schnell ahnte, dass er damit auch bei seinem seit vier Bundesligaspielen sieglosen Arbeitgeber eine schwierige Debatte befeuern könnte, führte er den Gedanken nicht weiter aus.

Aber dass beide Mannschaften gerade ähnliche Probleme haben, ist nicht zu leugnen. Beide kämpfen neben der generellen Form mit der Abwesenheit einer sogenannten Zielspielers im Angriff. Während der FC Bayern sich nach dem Weggang von Robert Lewandowski mehr oder weniger bewusst für diesen Weg entschieden hat, ist das Fehlen eines Torjägers seit Jahren das größte Problem des DFB. Flicks Lösungsansatz war und ist es, Timo Werner, der von allen möglichen Kandidaten noch am ehesten dem Phänotyp des Mittelstürmers auf Champions-League-Niveau entspricht, mit beeindruckender Geduld aufzubauen - gut acht Wochen vor der Weltmeisterschaft stagnieren die Fortschritte dieses Unterfangens. Allerdings waren in der Vergangenheit auch schon andere Lösungsansätze mit Kai Havertz oder Gnabry in der Sturmspitze ähnlich fruchtbar. Dass nun der Ruf nach dem Bremer Stürmer Niclas Füllkrug kommt, spricht für Füllkrug, ist aber auch ein wenig Ausdruck der Ratlosigkeit in der Debatte.

Unabhängig von der Personalie taugt die Taktik der Ungarn aber einfach als perfektes Videomaterial für jeden Gegner - zum Beispiel für Japan, auf die Flicks Team im ersten WM-Gruppenspiel am 23. November trifft. Zwei Abwehrketten, tiefe Positionierung, robust in der Zweikampfführung - schon ist das DFB-Team mit fast unlösbaren Aufgaben beschäftigt. "Wir haben diesen Stoßstürmer nicht und dann müssen wir uns andere Sachen einfallen lassen", sagte Kimmich noch, kurz bevor er in den Mannschaftsbus stieg. Diese "anderen Sachen" - das wird ein Kernpunkt bei der kommenden WM sein.

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