Süddeutsche Zeitung

Motorradsport:Ein geschenktes Jahr

Lesezeit: 3 min

Die Rennfahrer-Karriere von Stefan Bradl schien längst vorbei zu sein, bis sich Marc Márquez verletzte und der Deutsche für ihn in der MotoGP einsprang. Wenn der Spanier nun zurückkehrt, was wird dann aus Bradl?

Von Thomas Gröbner

"Nix", das ist ziemlich wenig, auch für einen bescheidenen Mann wie Stefan Bradl. Aber mehr hatte der Honda-Testfahrer aus Zahling im Landkreis Aichach-Friedberg halt nicht erwartet von sich. Ein, zwei Rennen sollte er einspringen in der MotoGP für den Überflieger Marc Márquez, der bei einer wilden Aufholjagd im Juli 2020 stürzte, weil der Spanier sein Motorrad über jene Grenzen getrieben hatte, die auch für Ausnahme-Rennfahrer wie Márquez gelten.

Aus den ein, zwei Rennen wurden nun dreizehn, Nummer vierzehn steht am Sonntagabend im Wüstenstaat Katar beim Grand Prix von Losail an. Und inzwischen ist "nix" auch nicht mehr sein Anspruch, sondern Bradl traut sich zu, regelmäßig unter die besten Zehn zu fahren in der Königsklasse des Motorradsports. "Das heißt schon was", sagt Bradl, "ich bin stolz, dass ich das von mir sagen kann."

Aber nun naht wohl das Ende seiner zweiten Rennfahrer-Karriere, zu der Bradl so unverhofft gekommen ist. Zu "90 Prozent" sei er sicher, dass Márquez wieder zurückkehrt beim dritten Grand Prix in Portimao, nachdem der Armbruch nach vielen Komplikationen ausgeheilt zu sein scheint. Und Bradl? Der 31-Jährige wird dann eine Wandlung hinlegen und wieder als Experte beim österreichischen Sender Servus TV die Rückkehr jenes Mannes kommentieren, den er nun fast ein Jahr lang vertreten hatte. Aber geht das? Seinen Frieden machen mit der Rolle des Testfahrers, wenn man gespürt hat, dass man immer noch mithalten kann?

Testfahrer und Rennfahrer in einem, das war zu viel für Bradl

"Mit Stefan Bradl sollte man sich befassen", das klang wie eine freundliche Empfehlung von Johan Stigefelt, dem schwedischen Teamchef von Petronas Yamaha. Aber so nett war das nicht gemeint. Es wurde gemurrt in der Branche, man müsse die Einsätze von Testfahrern wie Bradl begrenzen. Bradl, der Motorhorcher und Zylinderversteher, konnte unter Wettkampfbedingungen Daten sammeln, die sich so nicht einfach simulieren lassen. Die Beschwerden der Konkurrenz, findet er, sind also Komplimente für seine Arbeit.

Es ist ein seltsames Jahr, ein geschenktes Jahr für den Rennfahrer Bradl. Aber dass man nicht gleich schnell ist, nur weil man auf dem Motorrad des Weltmeisters sitzt, wurde nach kurzer Zeit klar. "Ich habe gelitten wie ein Hund", sagt Bradl heute über die Anfänge. Denn während die anderen sich auf die Rennen vorbereiteten, musste Bradl neue Teile testen, damit Honda konkurrenzfähig bleibt. Testfahrer und Rennfahrer in einem, das war zu viel, Bradl tuckerte hinterher.

Inzwischen hat er sich jedoch arrangiert, und Honda gibt ihm mehr Freiheiten. Bradl zahlt das zurück: Im letzten Saisonrennen 2020 fuhr er spektakulär auf Platz sieben, vergangene Woche beim Auftakt der neuen Runde konnte er auf Platz elf immerhin Altmeister Valentino Rossi hinter sich lassen. Dabei musste er lernen, sich Zügel anzulegen, schließlich muss das Motorrad bereit sein, wenn Márquez zurückkehrt und Bradl helfen soll, ihn zurück in die Spur zu bringen. Alle rätseln nun, wie schnell jener Mann noch sein kann, den sie früher "El Niño" nannten, das Kind, und später "extraterrestre", einen Außerirdischen. Bradl, den sie immer Bradl nannten, ist sich sicher: "Er wird nicht mehr der Marc Márquez sein, der er einmal war."

Deutschland ist längst Motorrad-Diaspora

Bradl und Márquez, das war einmal die Geschichte eines Zweikampfes, nicht eines Miteinanders. 2011 rang Bradl den Spanier in der kleineren Rennserie Moto2 noch nieder, der Bayer wurde Weltmeister mit 21 Jahren, zusammen stiegen sie auf in die MotoGP. Doch Bradl, das wurde dann schnell klar, hatte den kometenhaften Aufstieg Márquez' nur hinausgezögert: In den folgenden acht Jahren holte der Spanier sieben Titel, der 28-Jährige ist unbestritten der beste Motorradfahrer seiner Generation. Schlecht für Bradl: Wenn man mit einem Überflieger verglichen wird, dann ist die Fallhöhe gewaltig.

Seine fünften, sechsten, siebten Plätze in der MotoGP? Die wurden in Deutschland bewertet wie Niederlagen, "das zählte nix", sagt Bradl. Begeisterung zu schüren hierzulande, "das ist mühsam". Deutschland ist längst eine Motorrad-Diaspora. Wenn Bradl ins zweite Glied zurücktritt, dann bleibt nur noch Moto2-Pilot Marcel Schrötter aus Vilgertshofen übrig in der WM. Der ehemalige MotoGP-Fahrer Jonas Folger aus Mühldorf am Inn fährt mittlerweile in der zweitklassigen Superbike-WM, Ex-Moto3-Fahrer Philipp Öttl (Ainring) hat in der Supersport-WM angeheuert. Auch Bradl versuchte es 2014 auf den seriennahen Motorrädern, fremdelte aber und wurde am Ende 14. Danach hatte er genug und tauschte das Leben eines Rennfahrers gegen das eines Testfahrers ein.

Doch die beachtlichen Leistungen in den vergangenen Rennen könnten noch einmal einen Karrierekick geben für den Moto2-Weltmeister von 2011. Von einem Angebot als Stammfahrer mag Stefan Bradl aber nicht träumen, obwohl er viel Lob im Fahrerlager bekommen hat. Einen Wechsel in eine andere Klasse schließt er aus, die MotoGP soll seine Heimat bleiben, "hier gehöre ich hin", sagt er. Notfalls als Testfahrer und TV-Kommentator. Denn das hat Bradl gelernt: "Man kann halt nicht alles haben."

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