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Mick Schumacher:Sein großer Tag ist da

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30 Jahre nach seinem Vater steigt Mick Schumacher in die Formel 1 auf. Im Team Haas wird er erst mal nicht um Siege fahren - aber gegen das Vorurteil ankämpfen, dass er nur wegen des Familiennamens Karriere macht.

Von Philipp Schneider, Sakhir/München

Ein Vorhang, ein Lichtschalter, ein Bilderrahmen. Das also ist nun die Kulisse.

Manchmal passt die Tragweite eines Ereignisses nicht zur Schlichtheit seiner Bühne. Wenn sich nun also jemand sein ganzes bewusstes Leben lang vorbereitet hat auf einen bestimmten Moment, wenn er darauf gewartet hat, dass in Erfüllung geht, was außer ihm selbst womöglich nicht weniger als halb Deutschland von ihm erwartet hat, dann denkt man ja automatisch an den ganz großen Bahnhof. Roter Teppich, Pressekonferenz im Four Seasons!

Aber nun sitzt Mick Schumacher an seinem großen Tag vor einer Webcam, sie fängt einen braunen Vorhang ein, der ein Muster trägt, das es so verspielt wohl nur im sogenannten orientalischen Raum zu bewundern gibt. Irgendwann wummert es laut in den Boxen, dass es klingt, als donnere direkt hinter dem Vorhang ein Flugzeug vorbei. Aber das Herrliche an diesem tristen Rahmen ist ja nun: Schumacher ist er offensichtlich völlig egal. Er lächelt unentwegt, hört gar nicht mehr auf.

Wie sich der Moment anfühle, will ein Fragesteller wissen, Schumacher weitet die Augen, ein "unglaubliches Gefühl" sei das heute. "Ich habe es definitiv noch nicht zu 100 Prozent realisiert." Das will man ihm so glauben, man ahnt aber: Er hat es kommen sehen. So wie viele andere.

Mick Schumachers definitiver Aufstieg 2021 in die Formel 1 in ein Cockpit des US-amerikanischen Teams Haas war in den vergangenen Tagen kein sonderlich gut gehütetes Geheimnis. Dass der Karriereschritt schon feststand, obwohl sich Schumacher noch immer mit einem anderen jungen Rennfahrer, dem Briten Callum Ilott, um die Meisterschaft in der Nachwuchsserie Formel 2 balgt, das gehört nun zu seiner Geschichte.

Wann er die freudige Kunde in Erfahrung bringen konnte? "Nach dem Sotschi-Wochenende im September haben wir die Nachricht bekommen, dass die Dinge gut aussehen", erzählt Schumacher. "Aber es war noch nicht alles unter Dach und Fach." Traditionell steigt der Meister in die Formel 1 auf. Es ist sogar so: Der Meister darf nicht länger in der Formel 2 verweilen. Sollte also Ilott in den verbleibenden zwei Rennen am Wochenende noch die 14 Punkte Rückstand auf Schumacher aufholen, so wird wohl zumindest Ilott aufschreien: Ihr habt den falschen Piloten befördert!

Andererseits: Irgendwann muss ja eine Entscheidung über die Besetzung der Cockpits getroffen werden. Und nach derzeitigem Stand ist Mick Schumacher, 21, nicht nur der einzige existierende Sohn eines Formel-1-Rekordweltmeisters, sondern auch der Führende des Gesamtklassements. Oder wie es Günther Steiner ausdrückte, sein künftiger Teamchef bei Haas: "Er ist sehr reif als Mensch, sehr erwachsen, umgeben von guten Beratern, sehr professionell. Aber er ist auch sehr schnell und führt die Meisterschaft an, das ist mir das Wichtigste!"

Natürlich sitzt Mick Schumacher am Mittwoch nur deshalb vor einer Webcam und nicht im Four Seasons, weil die Menschheit in ansteckenden Zeiten lebt. In gewisser Hinsicht passt die Kulisse gut zu seinem sportlichen Aufstieg. Schumacher hat die Herausforderungen im Jahr der Pandemie eben besser bewältigt als seine Konkurrenten: Weil die Saison später losging als geplant, waren die Rennen enger getaktet, teilweise wurde an drei Sonntagen nacheinander gefahren. Schumacher hat das nicht ermüdet, es hat ihm gefallen, hat er im SZ-Interview erzählt. "Die Konstanz ist sehr interessant! Es ist ein bisschen wie in den alten Zeiten in der Formel 1, als noch jede Woche getestet werden durfte." Damals, als sein Vater fuhr.

Es ist ein in vielfacher Hinsicht spannendes Experiment, das in der kommenden Saison unternommen wird bei Haas. Zwei Neulinge in einem Team, das ist ungewöhnlich in einem Sport, in dem es nicht auf der Strecke, sondern auch in der Entwicklung auf Erfahrung ankommt. In der Garage neben Schumacher wird 2021 Nikita Mazepin, 21, einziehen, gegenwärtig sind beide Rivalen in der Formel 2. Der Russe ist der Sohn von Dimitri Mazepin, 52, Eigner des Chemiekonzerns Uralchem. Mazepin, das weiß auch jeder, hat das Cockpit erhalten, weil er viel Geld einbringt für den Rennstall. Auf die Nachforschung, weshalb man sich vom Rennfahrer Romain Grosjean trenne, der vor wenigen Tagen den verheerenden Feuerunfall erlitt, hatte Steiner schon vor Wochen erklärt: Die Scheidung erfolge aus "finanziellen Gründen".

Am Mittwoch wird Steiner folgerichtig gefragt, ob er sich nun fühle, als habe er im Lotto gewonnen; mit einem steinreichen Angestellten und einem weiteren, der so berühmt ist, dass er die Millionen auf anderem Wege einbringt, beispielsweise über Sponsoren. Nun ja, sagt Steiner, "einer bringt Geld mit ...", er denkt nach. "Da müssen wir uns überlegen, wie wir damit umgehen." Man ahnt jetzt schon: Die Frage, wer weshalb welches Cockpit erhalten hat, wird die Beobachter auch in Schumachers erster Saison in der Formel 1 begleiten. Aber überlagert wird dies selbstverständlich von einer den Planeten umspannenden Freude über die Rückkehr der Schumachers in die Formel 1. "Micks Vater ist eine Legende", sagt Steiner. In seiner Mannschaft bei Haas gebe es Angestellte, die schon vor fast zwei Jahrzehnten bei Ferrari mit Michael Schumacher zusammengearbeitet haben. "Für sie wird es sehr emotional", glaubt Steiner.

Und wenn der Junior dann im kommenden März beim Saisonauftakt in Australien in den Haas steigen wird, dann geschieht das ziemlich genau 30 Jahre, nachdem sein Vater 1991 in der Formel 1 für Jordan debütierte. Bei seiner Familie habe er als erstes angerufen, nachdem er davon erfahren habe, dass sein Aufstieg in die Formel 1 unumstößlich sei, das hat Mick Schumacher am Mittwoch erzählt in seinem Zimmer in Bahrain. "Wir freuen uns alle auf das kommende Jahr", sagt er.

Seine Startnummer ist ein Gruß an den Vater

Diese familiäre Verbundenheit teilt er mit seinem Vater, und sie ist auch eingeflossen in seine Entscheidung, welche Startnummer er wählt: die "47".

Warum die 47? Die 4 und die 7 seien seine Lieblingsnummern, erklärt Schumacher. Blöderweise sei es aber so: "Dadurch, dass alle vergeben sind, habe ich mir die 47 ausgesucht. Wenn man all unsere Geburtstage in der Familie zusammenzählt, ergibt das die 47." Es sind Momente wie dieser, in denen man den Vater im Sohn erkennt. Auch er besaß Eigen- und Schrulligkeiten jenseits seines Strebens nach Perfektion. Er tauschte einst mit Nico Rosberg bei Mercedes die Nummern, verlangte die "3" anstelle der "4", weil er nur mit ungeraden Nummern fahren wollte. Und ins Auto stieg er immer nur von der linken Seite, weil er sonst Ungemach fürchtete.

Wird nun also bald alles wie damals, rund um die Jahrtausendwende, als sein Vater von Titel zu Titel rauschte, erst im Benetton, dann im Ferrari? Schumacher blickt ernst in die Webcam. Er erwähnt jetzt einen Punkt, der ihm offenbar wichtig ist: "Die Erwartungshaltung von vielen muss ein bisschen gedämmt werden", sagt er. "Wir werden nicht um Siege im nächsten Jahr fahren, auch wenn ich das gern würde. Es wird mein erstes Jahr sein." Die Ziellinie als Erster queren wird er auch aus einem anderen Grund nicht: Der Motor im Haas röchelt seit dieser und garantiert auch in der nächsten Saison hinterher.

"Es ist eine Frage, wie man mit Druck umgehen kann"

Nicht um Siege wird Schumacher fahren. Sondern um Anerkennung. Sein ganzes Rennfahrerleben schon arbeitet er ja gegen den Verdacht an, hier werde einer auf die Überholspur gesetzt, nur weil sein Vater diese erfunden hat. Wenn es gut für ihn läuft, ist Haas nur eine Durchrutschcockpit für ihn. Er sei in einer "langfristigen Arbeitsbeziehung mit Ferrari, und wir werden uns seine Fortschritte ganz genau anschauen", sagte Mattia Binotto zuletzt, Teamchef bei Ferrari. Die Scuderia war es auch, die bestimmte, dass Schumacher aufsteigen solle in das Kundenteam Haas, dem die Italiener nicht nur Motoren liefern, sondern manchmal auch Vorschriften.

Er würde das heute nie so ankündigen, aber Mick Schumachers Karriereziel wurde festgezurrt in jenem Moment, als er sich gegen einen gutbürgerlichen Beruf entschied und stattdessen dazu, den Reifenspuren seines Vaters zu folgen. Er wird irgendwann umsteigen in einen jener roten Wagen, in denen sein Vater zum Rekordweltmeister wurde.

Ob er mit dieser Erwartung umgehen kann? "Es ist eine Frage, wie man mit Druck umgehen kann. Und ich habe in den vergangenen Jahren sehr viel Druck gehabt." Mick Schumacher lächelt, dann sagt er: "Die Ergebnisse sprechen ja für sich."

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Quelle:
SZ vom 03.12.2020
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