Süddeutsche Zeitung

Statement zu Uiguren:Mesut Özil im Propagandagewitter

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Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der Text ist verfasst wie ein Gebet. "Oh Ostturkestan", so beginnt die Hymne an das "leidende" Volk der Uiguren, dann beklagt der Fußballprofi Mesut Özil vom englischen Klub FC Arsenal die "blutende Wunde der Umma". Die Umma ist die muslimische Gemeinschaft. Verfasst ist der Twitter-Eintrag auf Türkisch, unterlegt mit Halbmond und Stern, in Blau und Weiß, den Insignien der Unabhängigkeitsbewegung der Uiguren in der autonomen Region Xinjiang in China. Özil schließt mit der Zeile: "Oh Gott, bitte hilf unseren Brüdern in Ostturkestan."

Mesut Özil hat einst deutsche Fans gegen sich aufgebracht, als er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit einem Vereinstrikot beehrte und später zur Hochzeit lud. Nun hat der ehemalige deutsche Nationalspieler mit türkischen Wurzeln viele seiner chinesischen Fans verärgert - und womöglich seinen großen Bewunderer Erdoğan dazu. Denn mittlerweile ist Ankara eher an engen Beziehungen zu Peking gelegen als an öffentlicher Solidarität mit den Muslimen in Xinjiang, auch wenn die Region auf Türkisch gewöhnlich "Doğu Türkistan" (Ostturkestan) genannt wird, wie das auch die dortige Unabhängigkeitsbewegung tut.

Als Erdoğan im Juli Chinas Präsidenten Xi Jinping besuchte, wurde er in dortigen Medien mit dem Satz zitiert, die Menschen in Xinjiang lebten "glücklich". Zwar hat Ankara später einen "Übersetzungsfehler" für dieses Statement verantwortlich gemacht, aber Peking weigerte sich, eine Korrektur vorzunehmen, und von der staatlichen türkischen Agentur Anadolu wurde Ankaras Unterstützung für Pekings "Ein-China-Politik" hervorgehoben. Als kurz danach das Menschenrechtskomitee der UN China dazu aufrief, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu beenden, fehlte die Unterschrift der Türkei. Und die von der Regierung in Ankara kontrollierten türkischen Medien schwiegen dazu.

In diese Stille mischt sich nun Mesut Özil ein: "Die westlichen Staaten" machten seit Monaten auf die "Verfolgung" der Uiguren aufmerksam, schrieb er: "Warum nicht die muslimische Welt?" Und: "Wissen Sie nicht, dass es abscheulich ist, vor Verfolgung die Augen zu verschließen?"

Damit hat Özil wieder mal seine Fangemeinde polarisiert. Türken twittern Zustimmung, ungeachtet der Regierungslinie. Im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo dominiert das Bedauern: "Es kommt mir vor, dass ich von Dir Abschied nehmen muss, obwohl ich über ein Jahrzehnt Dein Fan war", schrieb einer von Özils vier Millionen Followern in China. Das klang nicht nach freiwilligem Verzicht, aber Özils chinesische Fans wissen: Peking kennt kein Pardon, wenn es um die turkstämmige Minderheit der Uiguren geht.

Der staatliche chinesische Sender CCTV strich gleich mal die Übertragung des Premier-League-Spiels zwischen dem FC Arsenal und Manchester City am Sonntagnachmittag aus dem Programm (Arsenal verlor 0:3, Özil wurde in der 59. Minute ausgewechselt). Der Grund: Özils "falsche Kommentare" hätten die chinesischen Fans und den nationalen Fußballverband "enttäuscht", twitterte die staatliche Global Times auf ihrem englischsprachigen Account. Das Propagandagewitter, das nun Özil trifft, prasselt gewöhnlich auf alle herab, die es wagen, Pekings Umgang mit der muslimischen Minderheit in Xingjiang oder Pekings Ein-China-Politik zu kritisierten. Das chinesische Online-Forum Tieba hat seinen Özil-Fanklub nun geschlossen, wegen des "nationalen Interesses". Erst im Oktober hatte der Bannstrahl die nordamerikanische Basketball-Profiliga NBA getroffen. CCTV strich die Live-Übertragung von Basketballspielen aus den USA, nachdem der Manager der Houston Rockets, Daryl Morey, die chinesische Hongkong-Politik kritisiert hatte, wenn auch nur vorsichtig.

"Es kann viel schlimmer kommen als mit der NBA", warnte die South China Morning Post. Denn die Premier League hat einen lukrativen Vertrag mit dem chinesischen Streamingdienst PP Sports geschlossen. Der auf drei Jahre angelegte Vertrag, der seit dieser Saison läuft, soll der Liga nach verschiedenen Medienberichten insgesamt 630 Millionen Euro einbringen. Damit wäre China der ertragreichste Auslandsmarkt der Liga.

Erst jüngst hatte ein Leak aus der Kommunistischen Partei Chinas die Existenz von Umerziehungslagern für Uiguren bestätigt, die Süddeutsche Zeitung hatte darüber als Teil eines internationalen Investigativnetzwerks berichtet. Die UN schätzen, dass ein bis zwei Millionen Menschen in Straflagern in Xinjiang festgehalten werden. China beschreibt sie allerdings als Fortbildungszentren, die auch der "Deradikalisierung" dienten. Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor. China versucht seit langem, die Minderheit zu assimilieren, die Pflege muslimischer Traditionen zu verhindern.

Mit den Türken sind die Uiguren ethnisch verwandt, das sorgt bei Türken für Sympathie. Etwa 35 000 Uiguren sollen in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Einige fürchten nun, das Interesse Ankaras an chinesischem Kapital könnte den Druck erhöhen. 2009 nannte Erdoğan die chinesische Politik gegenüber den Uiguren noch "gleichbedeutend mit einem Genozid". Mesut Özil twitterte vor dem Spiel am Sonntag, das man in China nicht sehen konnte, wieder, nun ganz kurz: Er sei "vorbereitet und entschlossen", stand da - nicht auf Türkisch, damit es alle verstehen.

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SZ vom 16.12.2019
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