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Medaillen für Speerwerferinnen:Glück zwischen Königen und Legenden

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Während im Olympiastadion die Zuschauer von anderen Wettbewerben begeistert sind, gewinnen die deutschen Speerwerferinnen Christina Obergföll und Linda Stahl Silber und Bronze. Dabei schafft Obergföll zwar wieder keine überragende Weite, doch diesmal reicht das, um "superhappy" zu sein.

Jürgen Schmieder, London

Christina Obergföll hatte den besten Platz im Stadion, es hätte wohl Menschen gegeben, die hätten ihr 10.000 Euro bezahlt, um mit ihr tauschen zu dürfen. Erst einmal lief der Kenianer David Rudisha in Weltrekordzeit über 800 Meter, dann gewann Usain Bolt über 200 Meter und erklärte sich selbst zur "lebenden Legende" - und dann kam auch noch Ashton Eaton ins Ziel, Olympiasieger im Zehnkampf und damit der "König der Athleten".

Christina Obergföll war mittendrin, für einen Zuschauer wäre ihre Position prima gewesen. Obergföll ist jedoch Speerwerferin - und als solche versuchte sie, mitten in diesem Tohuwabohu einen Wettkampf zu absolvieren. "Die Atmosphäre war schon unglaublich", sagte sie nach dem Wettbewerb, bei dem sie die Silbermedaille gewann. Kollegin Linda Stahl schaffte beim Sieg der Tschechin Barbara Špotáková Bronze.

"Ich bin superhappy und hatte auch das Quäntchen Glück", sagte Obergföll, deren weitester Wurf 65,16 Meter weit flog. Damit lag sie wieder in dem Weitenbereich, den sie eigentlich immer bei großen Veranstaltungen wirft - der liegt exakt zwischen 65,12 und 66,46 Metern, einen Ausreißer nach oben (70,03 Meter) gab es nur bei der Weltmeisterschaft 2005 in Helsinki. Kurios dabei: So solide ihre Leistungen gewesen waren, so zuverlässig waren auch die Platzierungen.

Bei den Weltmeisterschaften 2005 und 2007 wurde sie Zweite, bei den Europameisterschaften 2010 und 2012 wurde sie ebenfalls Zweite, bei den Olympischen Spielen in Peking reichte ein Wurf in ihrer Spanne für die Bronzemedaille - es war die einzige Medaille damals für die deutsche Leichtathletik. Den Ausreißer nach oben, den ersten Platz, den erreichte sie nie. Dafür gab es Ausreißer nach unten, bei der WM 2009 in Berlin etwa wurde sie nur Fünfte, bei der WM 2011 Vierte. Deshalb hatte ihr angehaftet, keinen wichtigen Wettbewerb gewinnen zu können.

Nun, in London, da warf sie wieder in ihrer Weitenspanne - doch sie hatte zuvor angekündigt, dass das keinesfalls für eine Medaille reichen würde. Mehr als 70 Meter müsse man für Gold werfen, für eine Medaille in einer anderen Farbe immerhin nahe an diese Weite heran. Obergföll warf so weit, wie sie immer warf, das gleich mit dem ersten Versuch. Alle anderen machte sie ungültig, weil sie erkannte, dass sie keine Verbesserung bringen würden. Sie warf solide und schaute, was am Ende dabei herauskam, und das war der zweite Platz.

"Ich habe auch ein bisschen überpaced und das hinten nicht mehr in den Griff bekommen. Aber das ist mir egal", sagte Obergföll nach dem Wettbewerb. Špotáková warf ohnehin in einer eigenen Welt, die Tschechin wäre auch mit ihrem viertbesten Versuch Olympiasiegerin geworden. Danach sagte sie: "Der Druck in Tschechien war ungemein, jeder hat von mir Gold erwartet. Der Wettkampf selbst war dann ja eher einfacher."

Das gute Ergebnis rundete Linda Stahl mit dem dritten Platz ab. "Alle haben mal Glück gehabt, ich habe seit 2005 nie Glück gehabt. Heute war es mal auf meiner Seite", sagte Stahl nach dem Wettkampf, "Saisonbestleistung beim Saisonhöhepunkt ist wunderbar. So richtig kann ich das gar nicht glauben. Mich hatte hier bestimmt keiner auf der Rechnung."

Nun ist Christina Obergföll erneut Zweite geworden, doch zum ersten Mal in ihrer Karriere konnte sie sich darüber freuen. Als sie mit der Silbermedaille aus dem Innenraum kam, weinte sie nicht wie schon so häufig zuvor. Sie lachte. Sie hatte in diesem Stadion, während um sie herum Weltrekorde gebrochen, Könige gekrönt und Legenden gebildet wurden, solide wie immer agiert - und an diesem Abend wurde das belohnt.

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