Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Kruses Lässigkeit prägt Union

Lesezeit: 3 min

Seine Art des Fußballs passt perfekt ins System: Max Kruse und der Außenseiterklub aus Berlin, das klappt erstaunlich gut, weil der Ex-Nationalspieler die Mannschaft auf ein neues Niveau hebt.

Von Jens Schneider, Berlin

Es gibt nach nur wenigen Saisonspielen eine Menge Statistiken, die viel über den Wert dieses Spielers sagt. Aber noch besser mehr lässt sich die herausragende Rolle von Max Kruse, 32, für Union Berlin mit dem Blick auf eine Szene erzählen, die ihm keinen Eintrag in einer Tabelle einbringen wird. Kein Tor, kein Assist - doch eine für das Spiel prägende Ballberührung. Erst zwei Minuten lief die Partie gegen Arminia Bielefeld an der Alten Försterei, im Mittelfeld flipperte der Ball zur neuen Nummer zehn der Berliner. Kruse berührte ihn nur kurz und riss mit einem raffinierten Heber die Bielefelder Abwehr auf, öffnete damit den Weg für seinen Mitspieler Sheraldo Becker, der frei in die Mitte passen konnte, wo Keita Endo zum ersten Berliner Treffer einschob.

Es war eine Eröffnung, wie man sie von dieser Mannschaft nicht kannte, bevor Kruse kam. Und es kam einiges hinterher an diesem Samstag, bis am Ende ein Rekordsieg stand, der höchste in der kurzen Historie von Union in der Bundesliga. Nach dem 5:0 gegen die Arminia sind sie sechs Spiele ungeschlagen, so gut platziert wie noch nie. Kruse erzielte in sieben Spielen drei Tore, fünf bereitete er vor.

Dabei wurde er anfangs nur ein- oder nach einer guten Stunde ausgewechselt. Er sei noch nicht fit genug, hieß es. Um so mehr fiel am Samstag auf, wie sehr er das Spiel seiner neuen Mannschaft schon prägt, die Mitspieler dirigiert, die danach in Interviews gern von seiner Spielintelligenz schwärmen. Nach einem schwierigen Jahr bei Fenerbahce Istanbul ist in Kruse ein Spieler in die Bundesliga zurückgekehrt, der eine Mannschaft auf ein höheres Niveau heben kann, wenn es passt.

So wie es mit Kruse und Werder Bremen passte, wo seine Ideen und seine enorme Präsenz noch zwei Jahre nach seinem Weggang fehlen. So sieht es nun in Berlin aus, wo seine habituelle Lässigkeit im Umgang mit Regeln bei Union offenbar eher auf Sympathie stößt, als dass sich jemand daran stören könnte. Es gibt um ihn wieder Geschichten über sportferne Eskapaden, egal. Kruse sei "immer der Letzte, der kommt", wenn sie sich treffen, erzählte Mitspieler Robert Andrich am Samstag - na, und? "Er tut uns gut", sagte Andrich bei Sky.

Kruse fügt sich mit seinem Talent, ein Spiel mit feinen Bällen schnell zu machen, gerade ideal in das Spielsystem der Berliner. Sie setzen auf überraschende Angriffe aus einer sicheren Ordnung, Bielefeld erlebte es am Samstag, oft überfordert von diesen plötzlichen Überfällen. Union-Trainer Urs Fischer hat der Mannschaft ein System gegeben, mit dem sie derzeit ihre Gegner zermürbt.

Dazu gehört eine Haltung, mit der Union vor mehr als einem Jahr überhaupt erst den Weg in die Bundesliga gefunden hat. "Ich glaube", sagte Fischer vor dieser Partie, "auch ganz wichtig für unser Spiel ist, diese Ekligkeit beizubehalten." Den Gegner unter Druck setzen, Duelle erzwingen, den Ball erobern. Für den außergewöhnlichen Erfolg brauchte es mindestens eine weitere Komponente, den Ballverteiler und Tempomacher Kruse.

In Berlin findet er Mitspieler, die sich wie er auf das direkte schnelle Angriffe über wenige Stationen verstehen. So wie in der 13. Minute, als Kruse auf der linken Seite einen langen Diagonalball von Andrich mit der Brust annahm, loslief und am Strafraum flach und scharf in die Mitte spielte, wo der von hinten mitgelaufene Andrich in den Winkel schoss. Drei Stationen, ein Spiel mit enormer Effizienz.

Da wird gewartet, da wird der Ball in der Abwehrreihe geschoben, oder aus dem Mittelfeld zurück gepasst, bis die Gelegenheit da ist, eine Attacke zu starten. Bielefeld hatte anfangs sogar mehr Ballbesitz, wirkte dabei ratlos in Köpenick und ließ Kruse zu viel Platz. Kurz vor der Halbzeit durfte er einige Meter vor dem Strafraum in Ruhe seine Optionen prüfen, spielte Becker frei, der traf ins kurze Eck.

Kurz nach der Pause erzielte Kruse per Elfmeter das vierte Tor. Es war sein 16. Elfmeter in der Bundesliga, jeder ein Treffer. So eine perfekte Quote hatte zuvor nur Hans-Joachim Abel, als der und Bochum noch in der Bundesliga spielten, lange her also. Am fünften Tor durch Cedric Teuchert war Kruse nicht beteiligt, weil schon ausgewechselt. Aber es sah aus, als wäre er dabei gewesen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5108540
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.