Süddeutsche Zeitung

Mario Gomez:Rücktritt mit Hintertürchen

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Von Benedikt Warmbrunn, München

Der Sommer fing gerade erst an, da saß Mario Gomez an einem Pool in Eppan. Bis zur WM in Russland waren es noch eineinhalb Wochen, somit lebte Gomez noch in der Erwartung, endlich einen Titel mit der Nationalmannschaft zu gewinnen. Darüber sprach er, vor allem aber sprach er über "die Zeit danach".

Gomez, 33, erzählte, dass er seit 20 Jahren "in diesem Fußballkalender" lebe, "mit vier Wochen Urlaub im Sommer und zehn freien Tagen im Winter". Nach seinem Karriereende wolle er daher nicht sofort einen Job als Fußballtrainer annehmen, er sagte: "Die Welt bietet mehr als nur zwei Tore und einen Ball."

Dieser Welt hat sich Gomez am Sonntag weiter zugewandt; auf Facebook gab er seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. "Nun ist es an der Zeit, Platz zu machen und den vielen jungen und hochtalentierten Jungs die Möglichkeit zu geben, ihren Traum zu erfüllen, sich zu beweisen, Erfahrungen zu sammeln und das Beste für Deutschland zu erreichen", teilte der Angreifer mit, der beim VfB Stuttgart einen Vertrag bis 2020 hat.

Seit Februar 2007 hat Gomez 78 Länderspiele bestritten, er erzielte 31 Tore - nur 14 Spieler trafen häufiger für die DFB-Elf. Doch Gomez' Karriere war nie eine, die sich anhand von Toren erklären ließ. Kaum ein Nationalspieler wurde in den vergangenen Jahren so ambivalent gesehen wie er - genauso wie in den vier Jahren des Stürmers beim FC Bayern, für den er in 115 Spielen 75 Tore erzielte und wo er dennoch oft in der Kritik stand (obwohl Trainer Louis van Gaal einmal sagte: "Ich habe einen Körper wie ein Gott, aber nicht wie Mario Gomez."). Auch beim DFB wurde der Angreifer oft kritisiert, zum Beispiel bei der EM 2008, als er gegen Österreich aus wenigen Metern nicht ins leere Tor traf. Oder bei der EM 2012, als der damalige ARD-Experte Mehmet Scholl nach dem 1:0 im Auftaktspiel gegen Portugal (Torschütze übrigens: Mario Gomez) lästerte, dass er sich Sorgen gemacht habe, Gomez habe sich "wundgelegen".

An all die Kritik wird der Angreifer gedacht haben, als er nun schrieb: "Meine Zeit in der Nationalmannschaft war sportlich nicht immer einfach, nicht immer erfolgreich und doch wunderschön!"

An fünf Turnieren nahm Gomez teil - nicht aber an der WM 2014, bei der Deutschland den Titel gewann. Drei Monate zuvor hatte er sich am Knie verletzt, den Rückstand konnte er nicht aufholen. "Als ich 2014 verletzt zuschauen musste, merkte ich endlich, wie sehr mir das Team fehlte und was für eine große Ehre es für mich ist, für so eine Mannschaft auflaufen zu dürfen", schrieb er in seiner Abschiedserklärung, es war ein Beispiel dafür, was den späten Gomez auszeichnet: Demut.

Vor der WM galt Timo Werner früh als gesetzt für die Startposition im Sturm, das Duell um den Platz dahinter spitzte sich zu auf das zwischen Sandro Wagner (FC Bayern) und Gomez. Je näher das Turnier rückte, umso lauter tönte Wagner ("Ich habe es verdient, da mitzufahren"), und je lauter Wagner tönte, umso bescheidener wurde Gomez: "Ich will einfach Teil dieser tollen Mannschaft sein und ihr das zur Verfügung stellen, was ich kann. Früher habe ich gesagt, ich bin kein Einwechselspieler. Heute sind auch drei Minuten okay für mich." Bundestrainer Joachim Löw entschied sich für den leisen Gomez.

Bei der WM in Russland traf er nicht

Dreimal wurde dieser in Russland eingewechselt, er spielte insgesamt 88 Minuten lang mit, beim 2:1 gegen Schweden bereitete er den Ausgleich durch Marco Reus vor. Im dritten Gruppenspiel gegen Südkorea wurde Gomez in der Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselt, er hatte mehrere Möglichkeiten, das so wichtige Tor zum 1:0 erzielen, durch das sich die Mannschaft vielleicht doch noch für das Achtelfinale qualifiziert hätte. Er traf nicht.

Nach Mesut Özil ist Gomez nun der zweite Nationalspieler, der nach dem Vorrunden-Aus zurückgetreten ist. Einen Rücktritt vom Rücktritt hat er jedoch gleich mit eingeplant - und zwar für den Fall, dass Löw vor der EM 2020 "aus unwahrscheinlichen Gründen Bedarf" im Sturm sehe. Dann stehe er bereit. Falls Löw nicht anruft, freut sich Gomez jedoch auf einen Sommer, in dem es nicht nur um zwei Tore und einen Ball gehen wird.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2018
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