Süddeutsche Zeitung

Marco Sturm:Abschied des Lokomotivführers

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Schnitzler, München

Als Marco Sturm sich im Mai von der Nationalmannschaft verabschiedete, wünschte man sich einen schönen Sommer. Die WM in Dänemark war zu Ende, man würde sich im Herbst wiedersehen, wenn die Saison in der Deutschen Eishockey Liga beginnt. An diesem Mittwoch, knapp sechs Monate später, kommt der Kader für den Deutschland Cup in Krefeld erstmals wieder zusammen. Er freue sich darauf, "meine Mannschaft endlich wiederzusehen", sagte Sturm vergangene Woche.

Dass dieses Wiedersehen nun von Wehmut umweht sein wird, liegt daran, dass jene Mannschaft, die im Februar bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang sensationell die Silbermedaille geholt und dem deutschen Eishockey damit den größten Erfolg seiner Geschichte beschert hat, nach den Rücktritten einiger Leistungsträger ein anderes Gesicht hat. Vor allem aber liegt es daran, dass Sturm sich direkt im Anschluss an das Vier-Nationen-Turnier endgültig von seiner Mannschaft verabschieden wird. Der 40-Jährige wechselt in die nordamerikanische Profiliga NHL, als Assistenztrainer bei den Los Angeles Kings, wie der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) am Sonntag mitteilte.

Sturms für viele überraschende Entscheidung wirft zwei Fragen auf. Erstens: Ist eine Assistenzstelle beim Tabellenletzten der NHL reizvoller, als den Weg fortzusetzen, den er 2015 mit der Nationalmannschaft begonnen hat? Los Angeles ist mit neun Punkten aus 13 Saisonspielen Schlusslicht der Western Conference (was den bisherigen Cheftrainer John Stevens den Job kostete). Zweitens: Wer soll die Nachfolge des als Erwecker gefeierten Bundestrainers antreten? Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Krefeld sollen alle Fragen beantwortet werden, teilte der DEB noch am Sonntagabend mit. Zumindest was die Frage nach dem Nachfolger betrifft, wird das Podium eine Antwort aber wohl schuldig bleiben.

"Das war auch für mich eine richtige Überraschung", sagt DEB-Präsident Franz Reindl am Montag der SZ. Erst am vergangenen Freitag habe Sturm die Anfrage aus LA an ihn herangetragen. Am Samstag waren beide zum Sportpresseball nach Frankfurt eingeladen, "da hatten wir Zeit, uns zu unterhalten". Ergebnis des Gesprächs: Trotz der unmittelbar vor Olympia vereinbarten Vertragsverlängerung bis 2022 erhält Sturm die Freigabe. "Wir wollten ihm diese Chance nicht verbauen", sagt Reindl.

Sturm, mit 1006 Einsätzen der deutsche Rekordprofi in der NHL, hat nie verheimlicht, dass Nordamerika für ihn das gelobte Eishockeyland ist; in seiner vorletzten Saison absolvierte er auch ein paar Spiele für die LA Kings. In der NHL haben sie den Landshuter, "The German Rocket", als ebenso smart wie ehrgeizig in Erinnerung behalten. Die Tageszeitung USA Today schrieb nach Olympia, es sei keine Frage, ob Sturm irgendwann in der NHL arbeiten werde - es sei lediglich die Frage, ob er erst als Assistent oder sofort als Cheftrainer beginnen werde. Sturm bestätigte der SZ damals: "Wenn ich irgendwann mal in der besten Liga der Welt arbeiten kann, dann mache ich das. Das ist mein Ziel. Aber wann das ist?" Seit Sonntag weiß er es.

"Wir müssen die Entscheidung erst mal sacken lassen", sagt Franz Reindl. "Die Auflage war, dass der Wechsel erst nach dem Deutschland Cup vollzogen wird - LA wollte ihn ja sofort haben. Aber Marco zieht das jetzt durch." Sturm sagt: "Für mich geht ein Traum in Erfüllung." Er wisse, was er dem DEB zu verdanken habe: Nicht nur, "dass er mir diesen Schritt ermöglicht, sondern auch dafür, dass er mir die Chance zum Einstieg in das Geschäft gegeben hat".

2015, als niemand Bundestrainer sein wollte, griff der Präsident in die Trickkiste: Hinter dem schwarzen Vorhang ließ Reindl den glücklosen Pat Cortina verschwinden und zauberte, Simsalabim, Sturm hervor, damals 36 und als Trainer völlig unerfahren. Unter dem ehemaligen DEB-Kapitän entwickelte sich die Nationalmannschaft zum Aushängeschild, das mit zwei WM-Viertelfinalteilnahmen und vor allem der unglaublichen Erfolgsserie bei Olympia viele Sympathien gewann.

Auf dem Weg zu Silber schlug das Team Weltmeister Schweden, Rekord-Olympiasieger Kanada und stand im Finale gegen Russland bis 55,5 Sekunden vor Schluss sogar vor dem Gewinn der Goldmedaille. Vor Olympia, sagte Sturm, hätten viele ehemalige Kollegen in Nordamerika "nicht einmal gewusst, dass ich Trainer bin". Das Turnier sei auch für ihn "eine gute Werbung" gewesen. Trainer der Kanadier bei der 3:4-Niederlage im Halbfinale gegen die Deutschen war übrigens: Sturms neuer Chef Willie Desjardins.

"Wir werden die Woche mit Marco jetzt noch mal genießen", sagte Franz Reindl am Montag. In Krefeld treffen sich die DEB-Gremien, dann soll über die Nachfolge beraten werden. Bis Februar stehen keine weiteren Trainingslager oder Turniere an, "wir haben keinen Zeitdruck". Die Entscheidung müsse gut durchdacht sein. "Es geht nicht nur ums Coaching. Der Bundestrainer muss auch repräsentieren und eine Reputation haben."

Viele Faktoren müssten bedacht werden, sagt Reindl. Zum Beispiel, dass ein DEL-Trainer mit seinem Klubteam bis kurz vor WM-Start in den Playoffs gebunden sein könnte. Pavel Gross etwa, der immer wieder für das Amt gehandelt wurde und in Mannheim Angestellter von Geschäftsführer und DEB-Vizepräsident Daniel Hopp ist? "Da würden sich die Mannheimer bedanken, wenn wir mit ihnen dasselbe machen wie die Kings mit uns", sagt Reindl. Aus der Liga ist zu hören, Harold Kreis, 59, sei ein aussichtsreicher Kandidat. Der 180-malige Nationalspieler war von 2009 bis 2013 Assistent des damaligen Cheftrainers Uwe Krupp, er kennt den DEB. Seit dieser Saison coacht Kreis die Düsseldorfer EG.

Er werde sich an Spekulationen nicht beteiligen, sagt Reindl: "Marco hat den Stolz für die Nationalmannschaft wieder geweckt, und alle sind auf den Zug aufgesprungen. Jetzt wechselt der Lokomotivführer, aber das Leben geht weiter, die Erde dreht sich weiter." Gemeinsam mit Sturms Nachfolger muss der DEB dafür Sorge tragen, dass das deutsche Eishockey, unter Sturm von Platz 13 der Weltrangliste auf acht geklettert, auf diesem Gleis weiterfährt, junge Spieler fördert und sich nicht gleich wieder aus der Erfolgsspur verabschiedet.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2018
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