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Manuel Neuer im DFB-Team:Ohne Doktor, mit Gebrüll

Lesezeit: 1 min

Gute Nachricht für Deutschland: Manuel Neuer wirft sich im WM-Gruppenspiel gegen Ghana mit aller Wucht auf sein vormals lädiertes Gelenk und hat Gewissheit: Die Schulter macht mit. Auch bei den verbalen Auseinandersetzungen mit seinen Mitspielern ist Neuer bestens in Form.

Von Philipp Selldorf, Fortaleza

Kenner wissen: Zu den schönsten Momenten des Fußballspiels gehören die Szenen, wenn die Fußballer nach dem Spiel Abschied voneinander nehmen. Diese Szenen sind meistens dazu geeignet, dem Betrachter den Glauben an den Edelmut im Sport und an das Gute im Menschen zurückzugeben. Der verbissene Kampf, der eben noch auf dem Feld tobte, löst sich dann in Händeschütteln, Umarmen, Danksagungen und Esperanto-Smalltalk auf.

So war es auch am Samstag, nachdem Manuel Neuer seine Sachen gepackt hatte und sein Tor verließ, um den Kollegen Fatawu Dauda zu treffen. Dauda und Neuer zelebrierten ihre Begegnung abseits der Feldspieler als Sondergipfel der Torhüter. Sie schüttelten die Hände, umarmten sich und tauschten die Trikots. Dann ballten sie die Fäuste.

Aber nicht, um aufeinander einzuprügeln, sondern um die Fäuste gegeneinander zu stoßen wie zwei Bierhumpen - eine zeitgemäße Geste des besonderen Respekts. Danach tauschten Dauda und Neuer noch ein paar Sätze aus, deren Inhalt leider nicht überliefert wurde. Über die Themen lassen sich nur Spekulationen anstellen.

Möglicherweise hat Neuer dem Kollegen zu seiner famosen Flugparade gratuliert, mit der er halsbrecherisch eine deutsche Flanke aus der neuralgischen Zone entfernte, während Dauda seinen deutschen Amtsbruder dazu beglückwünschte, dass er kein einziges Mal nach Doktor Müller-Wohlfahrt hatte rufen müssen. Manuel Neuers Schulter gab in diesem aufregenden Spiel keinen Anlass zur Sorge, mehrmals hatte sich der Torwart mit all seiner Artistik und physischen Wucht auf das vormals lädierte Eckgelenk geworfen. Beeinträchtigungen waren danach nicht zu erkennen. Gute Nachricht für Deutschland.

Was Neuer ebenfalls unzweideutig zu erkennen gab, war der Ärger über die Mitspieler. Sein Fluchen über das Tor zum 1:2 ließ sich von den Lippen ablesen, auch nach dem Spiel war ihm innerlich nach Fluchen zumute. Neuer gab im Fernsehen ein Statement ab, in dem er seine Unzufriedenheit andeutete: "Wir haben durch unsere Fehler Ghana wieder stark gemacht, das darf uns nicht passieren."

Doch den langen Weg durch die Interviewzone, vorbei an den Kohorten der internationalen Presse, vermied er auf raffinierte Weise. Während Mitglieder des DFB-Stabs noch nach ihm fahndeten, war er längst durch den Hinterausgang entkommen. Vermutlich zum Zweck der Selbstzensur: Im wahren Leben ist Neuer ein liebenswürdiger Mensch, aber er kann durchaus unangenehm werden, wenn ihn der Groll über Gegentore beherrscht.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2014
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