Süddeutsche Zeitung

Mainz gegen Schalke:Weder Not noch Elend

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Entgegen der Erwartungen entwickelt sich das Kellerduell zu einem sehenswerten Drama. Beim 2:2 gegen Mainz zeigt Schalke seine beste Saisonleistung - hat bei drei Videobeweisen jedoch jedes Mal das Nachsehen.

Von Philipp Selldorf, Mainz

Über dieses Spiel hatte es eine Menge übler Nachrede gegeben. Not gegen Elend war ja nur eines von vielen Synonymen, die der prekären Begegnung von Mainz 05 und Schalke 04 gewidmet wurden, andere Zweitnamen des umgekehrten Gipfeltreffens zwischen dem Letzten und dem Vorletzten der Tabelle lauteten "El Katastrophico" und "El Schrottico". Die Gastgeber verzichteten trotzdem darauf, an der Opel-Arena Warnhinweise anzubringen (Vorsicht: Rumpelfußball-Gefahr!), und sie taten gut daran. Denn entgegen den Erwartungen war das Spiel der Verzweifelten ein sehenswertes Drama auf gutem Niveau.

Dass die Partie beim Stand von 2:2 keinen Sieger hervorbrachte, hatte zwar Unzufriedenheit auf beiden Seiten hinterlassen, entsprach aber einer salomonischen Lösung für das bewegte Spielgeschehen. Mainzer wie Schalker hatten jeweils Grund, sich über den entgangenen Sieg zu ärgern wie auch über die abgewendete Niederlage zu freuen. Die Hausherren hatten die besseren Chancen gehabt und bis zur 82. Minute in Führung gelegen, die Gäste aus dem Ruhrgebiet hatten die Partie dominiert und den besseren Fußball gespielt. So könnte das Remis allen Beteiligten als moralische Aufbauhilfe dienen.

Einen Sieger gab es allerdings schon: Es handelte sich um die Firma Kömmerling, die in Mainz das Resultat von Videobeweisen präsentiert. Der Türenhersteller fand ausführlich Erwähnung, denn der Kölner Keller wurde von Schiedsrichter Patrick Ittrich in mindestens drei wesentlichen Szenen zu Rate gezogen. Jedes Mal hatten dabei die Schalker das Nachsehen, der erste Fall trug sich bereits in der dritten Minute zu, als der Mainzer Angreifer Jonathan Burckardt und der Schalker Verteidiger Matija Nastasic im Strafraum kollidierten. Ittrich signalisierte: Weiterspielen. Der Kölner Keller intervenierte. Ittrich schaute die Szene auf dem Monitor an und gab Elfmeter. Daniel Brosinski verwandelte zum 1:0 (6. Minute).

Kurz vor der Pause traf Ittrich nach einem Zweikampf zwischen Jean-Philippe Mateta und Ozan Kabak selbst die Entscheidung zum Strafstoß. Köln äußerte offenbar keine Einwände, was den Schalker Sportvorstand Jochen Schneider noch lange nach dem Spiel schlechte Laune machte. Er beklagte mehr oder weniger systematische Benachteiligung. Der zweite Elfmeter, den Mateta zum 2:1 nutzte (45.+2), sei "eine krasse Fehlentscheidung" gewesen und hätte daher revidiert, mindestens aber überprüft werden müssen, sagte der Manager. Gegen den dritten Videobeweis hatte Schneider hingegen nichts einzuwenden. Kabak hatte den Ball, wenn auch unfreiwillig, an die Hand bekommen, bevor er ihn zum 2:2 ins Tor beförderte. Ittrich hatte es jedoch nicht mitbekommen. Schon standen alle Spieler am Mittelkreis zum Anstoß beisammen, da meldete sich das TV-Gericht und kurz darauf durfte die Firma Kömmerling das Urteil präsentieren: Doch kein Tor.

Viel Aufregung also in diesem Duell, das im Zeichen des Abstiegskampfes stand, aber nicht so ausgesehen hat. Die Schalker fanden in Mainz zu ihrer besten Saisonleistung, umso größer wurde die Verzweiflung von Manuel Baum, als die Dunkelheit über dem Mainzer Stadion aufzog und der Abpfiff dieser schicksalhaften Auseinandersetzung immer näher rückte. Der Trainer bekannte sich zu seiner Angst und ordnete die bedingungslose Mobilmachung an. Mit der Einwechslung von Vedad Ibisevic in der 81. Minute schickte er den sechsten Offensivspieler auf den Platz, Salif Sané und Matija Nastasic bildeten die einsame Restverteidigung. Ibisevic hatte kaum im Angriff Posten bezogen, da durfte er schon den Ausgleich bejubeln: Der Mainzer Jeremiah St. Juste hatte den von Torwart Robin Zentner abgewehrten Ball ins eigene Tor abgefälscht (82.). Noch ein Grund mehr für die Mainzer, das Unentschieden zu beklagen, auch wenn es den ersten Punkt in der laufenden Saison brachte.

Der FSV 05 hatte sich zwar vorwiegend in der Defensive befunden und dabei nicht immer einen bestens koordinierten Eindruck gemacht, sobald er aber mit Burckardt und Mateta ins Angriffsdrittel gelangte, wurde es für Schalke gefährlich. Mindestens dreimal sahen die Gelsenkirchener das womöglich entscheidende Tor zum 1:3 kommen: Mateta hatte es kurz vor der Pause auf dem Fuß - Torwart Frederick Rönnow rettete mit einer Manuel-Neuer-Handball-Parade. Auch Burckardt brachte im Sololauf nicht den Ball am dänischen Nationalkeeper vorbei, der sich erneut als Dauerlösung im Schalker Tor empfahl. Die dritte Mainzer Großchance vergab wieder Mateta: Allein lief er aufs Tor zu - und schlenzte drei Meter vorbei.

Die Schalker zeigten an diesem Nachmittag nicht nur Moral, sie offenbarten auch jene spielerischen Fähigkeiten, die sie bisher immer versteckt gehalten hatten. Ozan Kabak, zurück aus der Fünf-Spiele-Sperre, sorgte für besseres Aufbauspiel, Goncalo Paciencia für Alarm im Mainzer Strafraum, Mark Uth für Ideen im Mittelfeld und außerdem für den 1:1-Ausgleich. Sein Freistoßtor von der Strafraumkante in der 36. Minute war ein Kunststück. Alles andere als Ausdruck von Not und Elend.

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