Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Das kleine Lüneburg hat die Zauberformel

Lesezeit: 3 min

Lüneburgs Volleyballer sind vor zehn Jahren in die erste Liga aufgestiegen - und haben es nun erstmals in ein Europapokalfinale geschafft. Ein Paradebeispiel, wie aus einem kleinen Verein mit Geduld und einer neuen Halle Großes erwachsen kann.

Von Sebastian Winter

Man tritt Bernd Schlesinger nicht zu nahe, wenn man ihn als gute Fee der Lüneburger Volleyballer bezeichnet. Eine Fee mit weißem Vollbart. Der 65-Jährige hat einen Namen im hohen Norden, unter anderem gewann er als Trainer mit dem 1. VC Hamburg 1992 das DVV-Pokalfinale. Es war zugleich das Ende einer goldenen Zeit in der Hansestadt, die ihren Höhepunkt zwischen 1976 und 1988 erreichte - als der Hamburger SV nicht nur im Fußball glänzte, sondern auch sechsmal die deutsche Meisterschaft im Volleyball gewann. Lange her, das alles, Schlesinger ist inzwischen Sportchef und Co-Trainer in Lüneburg, seit 2011 ist er im Verein. Und am Dienstag war er Teil einer besonderen Premiere.

Die SVG Lüneburg spielte zum ersten Mal in einem Europapokalfinale, Gegner im CEV-Cup, dem zweithöchsten europäischen Wettbewerb nach der Champions League, war der polnische Spitzenklub Resovia Rzeszow. Es war ein Festtag für den Verein aus der 75 000-Einwohner-Stadt, 3200 Zuschauer, ausverkauft. Im Endspiel dieses Wettbewerbs standen bislang erst zwei andere deutsche Klubs: Berlin gewann den CEV-Cup 2015 und Wuppertal 1996. Das Ergebnis war dann etwas ernüchternd für Lüneburg, die mit polnischen Weltmeistern und Nationalspielern gespickten Gäste siegten im Hinspiel mit 3:0.

Schlesinger, schon immer ein Brummbär im besten Sinne, skizzierte die ganze Fallhöhe dieses Abends in drei norddeutsch klaren Sätzen: "Wir haben den Arsch versohlt bekommen, das tat ein bisschen weh. Aber wir durften hier ein europäisches Finale spielen, das ist toll. Mit solchen Aufgaben entwickelt man sich weiter."

Lüneburg war vor 13 Jahren noch Tabellenvorletzter der zweiten Liga, "es ging nur darum, sich zu stabilisieren", sagt Schlesinger am Tag danach. Mit Andreas Bahlburg, dem Gründer, Visionär und langjährigen Geschäftsführer der SVG Lüneburg, ohne den Volleyball in dieser Stadt undenkbar wäre, stellte Schlesinger einen Zehnjahresplan auf. Das Ziel: Erstligaaufstieg, dort in der Spitze etablieren und später international spielen. 2014 stieg Lüneburg in die erste Liga auf. Und holte als Trainer Stefan Hübner, einen weit gereisten Profi, 245-maligen Nationalspieler, WM- und Olympiateilnehmer. Schlesinger hatte ihn schnell überzeugt.

Mit ruhiger Hand und Weitsicht führt Hübner, der mit seiner Frau, der 297-maligen Volleyball-Nationalspielerin Angelina (geborene Grün) und zwei Söhnen in einem Haus in Lüneburg lebt, den Kader, den er mit Schlesinger zusammenstellt. Hübner unterhält beste Kontakte nach Nordamerika, weswegen in dieser Saison drei Kanadier und vier US-Amerikaner im Kader sind - neben sieben Deutschen. Sein Trainervertrag wurde bis 2028 verlängert, inzwischen ist er dienstältester Trainer der Liga. Bahlburg hat das große Ganze im Blick, Matthias Pompe kam später als Manager hinzu. Dieses Quartett arbeitet nun seit vielen Jahren in einem wachsenden Biotop, das von einer Zauberformel zusammengehalten wird: Kontinuität. Sie ließ diesen Verein so schnell zum Leuchtturm des Nordens im Männervolleyball werden. In dieser Saison haben sie erstmals einen siebenstelligen Etat, rund 1,2 Millionen Euro. Aber da wäre auch noch die Halle.

"Bekommt Lüneburg eine Stadt- und Sporthalle?", fragte die Lünepost auf ihrer Titelseite am 17. Januar 2015. Lüneburg spielte da noch westlich der Stadt in der Gellersenhalle. Die SVG (Spielgemeinschaft Volleyball Gellersen) ist dort beheimatet, umrahmt von Dörfern, die Südergellersen, Westergellersen, Kirchgellersen, Mechtersen oder Vögelsen heißen. Ihre Halle nannten die Lünehünen, wie sie sich selbst bezeichnen, auch Schuhkarton, 800 Zuschauer passen hinein. Für die erste Liga benötigte sie wegen der zu niedrigen Decke eine Ausnahmegenehmigung. Irgendwann wurde sie dann zu klein.

Nach viel politischem und wirtschaftlichem Hin und Her entschied sich die Stadt, in Lüneburgs Norden, nahe der Autobahn, dort, wo einst der Schlachthof stand, die neue LKH Arena zu bauen. Kosten: 28,5 Millionen Euro. Der Bau verzögerte sich, Corona kam dazwischen, erst im April 2022 wurde sie eröffnet. Mehr als sieben Jahre, nachdem die Lokalzeitung die Gretchenfrage gestellt hatte.

"Für das Spiel gegen Rzeszow hätten wir 6000 oder 7000 Karten verkaufen können", sagt Sportchef Schlesinger

Seither brummt die Eventarena, sie ist oft ausverkauft, besonders in dieser Saison. Einzugsgebiet: der ganze Norden, Hamburg, Lübeck, Bremen, Schwerin, Hannover. "Für das Spiel gegen Rzeszow hätten wir 6000 oder 7000 Karten verkaufen können", sagt Schlesinger. Längst ist Lüneburg in der Zuschauergunst im Männervolleyball die Nummer zwei hinter Berlin.

Es soll nun noch weiter nach oben gehen, am kommenden Samstag trifft Lüneburg im Playoff-Viertelfinale auf Herrsching, der nächste Zehnjahresplan steht ohnehin an. Das Ziel: Titel in der Meisterschaft und im Pokal, etablieren in der Champions League. In der Königsklasse haben sie bereits in der laufenden Saison gespielt, wurden Gruppendritter und landeten deshalb im CEV-Cup.

Wer weiß, was dort noch passiert am Dienstag im Rückspiel in Rzeszow. Hübners Mannschaft gelang ja schon im Halbfinale Erstaunliches, als sie Izmir und dessen Hauptangreifer Georg Grozer, der die deutschen Volleyballer bei den Olympischen Spielen in Paris anführen wird, nach einer 0:3-Hinspielniederlage noch bezwang. Den Hintern wollen sie sich nicht noch einmal versohlen lassen.

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