Süddeutsche Zeitung

Champions League:Anfield muss Klopp nun helfen

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Von Sven Haist, Liverpool

Da es jetzt ums Ganze geht, holt Jürgen Klopp beim FC Liverpool den bewährten Trumpf hervor. Man möge Anfield aktivieren, bittet er: "Weil es uns helfen muss!" Denn im Gegensatz zu Mohamed Salah, Klopps bestem Angreifer, kann The Kop, die berühmte Stadiontribüne an der Anfield Road, zwar keine Tore schießen, aber als Antriebskraft ist sie eine Instanz. Wenn The Kop tobt, kommt Liverpool fast immer ins Laufen.

Klopps Vertrauen in die sehr spezielle Anfield-Atmosphäre basiert auf der Historie. Häufig ging es irgendwie gut, wenn der Trainer sich vor einem wegweisenden Europacup-Duell direkt an die Fans wandte. Seit Amtsbeginn im Oktober 2015 hat Klopp mit den Reds, den Knallroten, aus 15 Heimspielen im internationalen Wettbewerb zwölf Siege und drei Unentschieden bei einem Torverhältnis von 44:13 geholt. Die Times sieht in ihm deswegen den perfekten Motivator, der ein Stadion erhitzen kann. Und heiß hergehen muss es jetzt wieder, wenn Liverpool bei den Topvereinen in Europa dabeibleiben möchte.

Am sechsten und letzten Spieltag in der Gruppenphase der Champions League steht Liverpool an diesem Dienstag gegen den SSC Neapel vor dem Aus. In der kniffligen Gruppe C mit Napoli, Paris Saint-Germain und Roter Stern Belgrad muss der Vorjahresfinalist unbedingt gewinnen, um noch den Einzug ins Achtelfinale zu schaffen. Auf dem dritten Platz liegt Liverpool (sechs Punkte) hinter Neapel (neun Punkte) und Paris (acht Punkte) zurück.

Sofern Paris das Gastspiel in Belgrad gewinnt, würde Liverpool nach dem 0:1 im Hinspiel fürs Weiterkommen ein 1:0 über Neapel benötigen oder einen Erfolg, der höher ausfällt als um ein Tor. Bei Punktgleichheit zählt der direkte Vergleich zwischen den Klubs, bei je einem Sieg hat der Verein mit den weniger geschossenen Auswärtstoren das Nachsehen. Erst dann kommt das Torverhältnis in die Wertung. Für den Fall, dass sowohl Liverpool als auch Paris und Neapel mit neun Punkten ins Ziel einlaufen, wäre die Bildung einer Mini-Tabelle zwischen den drei Vereinen die Folge. In dieser Konstellation würde sich Liverpool als Gruppenerster durchsetzen. Ob sich dahinter Paris oder Neapel qualifiziert, hinge vom Ergebnis der Italiener in Liverpool ab.

In Belgrad irritierte Klopp mit seiner Aufstellung

Der Wettstreit zwischen den einstigen Bundesligatrainern Jürgen Klopp (Mainz, Dortmund; heute Liverpool), Thomas Tuchel (Mainz, Dortmund; heute Paris) und Carlo Ancelotti (FC Bayern; heute Neapel) entschädigt für die bisherige Ereignisarmut in der Champions League. Bislang schon stehen zwölf der 16 Achtelfinalisten fest, darunter die Bundesligisten FC Bayern, Dortmund, Schalke. Nur der vierte deutsche Kandidat, 1899 Hoffenheim von Trainer Julian Nagelsmann, blieb trotz couragierten Spiels auf der Strecke. Abgesehen von Ajax Amsterdam und FC Porto setzten sich bislang nur Vereine aus den vier europäischen Spitzenligen (Spanien, England, Italien, Deutschland) durch. Dieser Verlauf war schon nach der Auslosung zu erahnen; auch, dass die Gruppe C zur einzigen "Todesgruppe" ausgerufen wird.

Durch drei Auswärtsniederlagen in der Königsklasse hat sich der Spitzenreiter der Premier League in Zugzwang gebracht. Nach dem Aussetzer in Neapel, bei dem Liverpool keinen Schuss aufs gegnerische Tor zustande brachte, irritierte Klopp mit seiner Aufstellung fürs unangenehme Gastspiel bei Roter Stern Belgrad (0:2). Auf vier Positionen änderte er nach dem deutlichen Sieg im Hinspiel seine Formation; so kamen Joêl Matip, Adam Lallana und Daniel Sturridge zum Einsatz, drei Profis, die in der Saison kaum eine Rolle gespielt hatten. Dabei wäre das darauffolgende Ligaheimspiel gegen den Abstiegskandidaten FC Fulham geradezu prädestiniert gewesen, den Stammspielern dort eine Schaffenspause zu verordnen. Aus diesem Grund interpretierten die englischen Medien die Personalwahl dahingehend, dass bei Liverpool in dieser Saison das Abschneiden in der heimischen Liga über dem in der Champions League stehen könnte.

Dieser Verdacht, wenngleich das natürlich nicht bestätigt wird, ist keinesfalls abwegig, weil Liverpool - ebenso wie Neapel in der italienischen Serie A - seit der Saison 1989/'90 auf den Gewinn der Meisterschaft wartet. Mit dem ersten Titel in der Premier League, der insgesamt 19. Meisterschaft für den Verein, würde sich Klopp bei den Reds ein Denkmal für die Ewigkeit setzen. Den Status des englischen Rekordmeisters hat Liverpool an Manchester United (nunmehr 20 Ligagewinne) vor sieben Jahren abgeben müssen. Die Übernahme der Tabellenführung am Wochenende verstärkte den Eindruck, dass Liverpool tatsächlich dem Meister Manchester City auf der Insel den Rang ablaufen kann.

Dieses Zwischenergebnis in der Liga befreit Liverpool ein wenig von der Last, dass die Saisonbilanz ausschließlich vom Showdown in der Champions League abhängt. Das Finale 2018 hatte der Klub in Kiew mit 1:3 gegen Real Madrid verloren. Die Umstände waren denkwürdig - der inzwischen nach Istanbul umgezogene Torwart Loris Karius patzte, der ägyptische Stürmer Mo Salah musste verletzt ausgewechselt werden. Liverpool hat also noch viel aufzuarbeiten in diesem Wettbewerb. Um diese Chance zu erhalten, muss nun erneut das Stadion funktionieren.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2018
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