Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Leuchtturm mit schwachem Feuer

Lesezeit: 3 min

Über ihren geplanten Ausschluss bei der deutschen Meisterschaft im Herbst sind die Mittel- und Langstreckenläufer erbost - und legen dar, wie sie trotz Corona-Restriktionen teilnehmen könnten.

Von Johannes Knuth, München

Die Leichtathletin Gesa Felicitas Krause präsentiert sich in den sozialen Netzwerken gerne als globetrottende Hochleistungssportlerin. Krause im Höhentrainingslager in Colorado, Kenia und in der Schweiz, Krause im Bikini am Pool, Krause als Testimonial für Pulsuhren und Sonnencreme. Sportpolitische Botschaften suchte man bei ihr meist vergeblich.

Bis zum vergangenen Wochenende.

Da hatte der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) gerade das Konzept vorgestellt, mit dem er die deutschen Meisterschaften am 8./9. August in Braunschweig ausrichten will. Es umfasst sehr viele Hygieneregeln, und - was Krause "sprachlos" machte - keine längeren Läufe, keine 1500, 5000 und 3000 Meter Hindernis. Auch diverse Titelkämpfe im Gehen und auf der Straße sind für 2020 abgesagt. "Eine Entscheidung, die ich nicht nachvollziehen kann", teilte Krause mit, die WM-Dritte 2019 im Hindernislauf: "Man spielt Fußball mit 22 Athleten auf dem Platz in vollem Gange" - da solle ein DM-Finale mit acht bis zwölf Athleten unmöglich sein?

Zeitversetzte Starts oder neue Überholregeln wären denkbar

Die Stadionmeisterschaften hätten ursprünglich am vergangenen Wochenende stattfinden sollen, sie waren aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden und sollen nun die Ouvertüre zu einer straffen Herbstsaison sein. Ein Jahr ohne Wettkämpfe würde ein großes Loch in die Vorbereitung der Leichtathleten reißen, die 2021 im Juli bei den verschobenen Sommerspielen in Hochform sein sollen. Und ohne Titelkämpfe mit TV-Begleitung droht auch der Verbandskasse ein Loch: "Die Umsetzung der Late Season ist auch für die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des DLV wichtig", sagte Idriss Gonschinska, der Generaldirektor Sport im DLV, in einer ersten Reaktion. Man habe für den Antrag bereits positive Signale aus dem niedersächsischen Innenministerium empfangen, jetzt seien die örtlichen Ämter am Zug.

Die jüngste Corona-Verordnung des Landes gestattet wieder sportliche Wettstreite, allerdings unter Auflagen. Individualsportler müssen ständig mindestens zwei Meter Abstand halten, Zuschauer sind nicht erlaubt. Der DLV hatte das in strenge Spielregeln übersetzt: Temperaturmessung vor dem Stadion, Maskenpflicht bei Betreuern, nur zehn Starter in technischen Disziplinen, eine freie Bahn zwischen jedem Athleten bei den Läufen. Und eben: keine Strecken jenseits der 800 Meter, weil dort nicht in Bahnen gelaufen und um Positionen gerangelt werde. Man arbeite aber "an einer innovativen Wettkampfperspektive mit virtuellen Duellen auf Laufbändern", so Gonschinska, außerdem wolle man die Laufwettbewerbe im September nachholen. Er hoffe auch, dass die Geister-Wettkämpfe als "Leuchtturmprojekt" dienen, für Meetings im Herbst.

Die Szene strahlte in ihren ersten Reaktionen nicht gerade vor Begeisterung. Kurt Ring, der bei der LG telis finanz Regensburg eine der erfolgreichsten Laufvereine der jüngeren Zeit aufgebaut hat, sprach im Gespräch von einem "Beinschuss für den Sport". Zunächst einmal sei Laufen gar kein Kontaktsport, weil jeglicher Kontakt streng genommen die Regeln verletze. Ansonsten müsse man ohnehin Abstand halten, um dem Vordermann nicht in die Hacken zu treten. Und überhaupt könne man schon jetzt längere Läufe im Stadion ausrichten, man müsse nur das Regelwerk anpassen: mit Überholmanövern nur auf der Nebenbahn oder zeitversetzten Starts auf der Langstrecke. Die Berliner Vereine SSC und LAC Olympia richteten am Sonntag einen Wettkampf über zehn Kilometer aus - auf der Straße zwar, mit nur 13 Spitzenathleten im entlegenen Schmöckwitzer Werder, aber mit gemeinsamem Startschuss und Überholmanövern. (Alina Reh gewann bei den Frauen in starken 31:26 Minuten.) Zudem, so Ring, habe man in Regensburg für Anfang Juli zwei "ganz normale" Bahnläufe über 3000 und 10 000 Meter beantragt. Das Sportamt habe diese bereits genehmigt.

Auch im Corona-Verordnungs-Dschungel der niedersächsischen Behörden findet sich ein kleiner Ausweg, Paragraf eins, Absatz neun. Kontaktsport ist demnach für Berufssportler möglich, wie derzeit im Fußball und Basketball. Athleten müssten dafür unter anderem "regelmäßig und unmittelbar" vor dem Event getestet werden und sich zuvor in Quarantäne begeben. Viele Läufer, erklärte Ring, würden die Kosten für derartige Tests wohl selbst tragen.

Der Verband hielt in einer Replik in den sozialen Netzwerken dagegen, dass derartige Maßnahmen in der Leichtathletik nicht machbar seien. Tatsächlich ist der Sport ein Hybridkonstrukt: Bei deutschen Meisterschaften treffen ambitionierte Amateure und Nachwuchsathleten auf Vollzeitsportler - wobei die zweite und dritte Reihe bei der kommenden DM weitgehend ausgesperrt sein dürfte, wegen der kleinen Starterfelder. Die Zahl der Athleten, die man vorher testen und in Quarantäne schicken müsste, wäre wohl überschaubar. DLV-Generaldirektor Gonschinska hält sein Konzept auf Nachfrage dennoch für alternativlos: "Wenn man im Kontext der derzeitigen Schutzverordnungen nicht explizit jeden Kontakt von Athleten ausgeschlossen und den vorgegebenen Schutzabstand sichergestellt hätte, hätten wir aktuell keine Chance gehabt, eine Befürwortung des Sonderantrages zu erlangen." Und wenn sich die Auflagen änderten, so wie derzeit im öffentlichen Leben? "Sollte es aufgrund von weiteren Lockerungen und Genehmigungen die Möglichkeit geben, Mittel- und Langstrecke bei der DM durchzuführen", sagte Gonschinska, "werden wir das tun."

So oder so: Ein Leuchtturmprojekt ist die Geistermeisterschaft in ihrer jetzigen Form kaum. Eher ein Turm mit schwachem Leuchtfeuer.

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SZ vom 08.06.2020
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