Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Unkraut jäten, Schulhaus streichen, Weltrekord laufen

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Er lässt das Schwere leicht aussehen: Ugandas Joshua Cheptegei bricht in Monaco die 16 Jahre alte Bestmarke über 5000 Meter. So spitzbübisch wie sein Lauf geraten auch die Erklärungen.

Von Johannes Knuth, Monte Carlo/München

Joshua Cheptegei wirkte nicht gerade erschöpft. Er trudelte auf den letzten Metern ins Ziel, er hatte sogar noch die Muße, die Zeitnahme seiner Armbanduhr zu bedienen. Als habe er gerade eine moderate Zehn-Kilometer-Runde vor dem zweiten Frühstück hinter sich gebracht, nicht eine 16 Jahre alte Fabelmarke aus den Angeln gehoben.

Die Leichtathleten machten es ihrem Weltverband am Wochenende nicht gerade schwer, nach dem ersten vollwertigen Diamond-League-Meeting dieser improvisierten Saison ein rosiges Bild des Sports zu zeichnen. Jakob Ingebrigsten zum Beispiel, die noch 19 Jahre alte Hochbegabung aus Norwegen, unterbot über 1500 Meter den Europarekord des Briten Mo Farah in 3:28,68 Minuten um 13 Hundertstelsekunden. Auch ein paar Deutsche ließen sich mitziehen: Marc Reuther verbesserte seine Bestzeit über 800 Meter auf 1:44,93 Minuten, im Schatten des Weltmeisters Donavan Brazier aus den USA (1:43,15). Und Deniz Almas bewies nach seinen 10,09 Sekunden über 100 Meter von voriger Woche, dass er auch die doppelte Distanz beherrscht: in 20,64 Sekunden lag er zwar hinter dem aktuellen Weltmeister Noah Lyles aus den USA (19,79), aber vor dem früheren Weltmeister Ramil Guliyev aus der Türkei. Am Sonntag gewann Almas in Leverkusen wieder über 100 Meter, in 10,23 Sekunden vor Julian Reus (10,27).

Der Bringer in Monte Carlo war aber natürlich Joshua Cheptegei, 23, aus Kapchorwa, Uganda. Der führte einen dieser Läufe auf, bei dem er sein ganz eigenes Maß zu sein schien. Er absolvierte fast jede Runde in mehr oder weniger genau 60 Sekunden, mit 59,6 Sekunden als Schlussakkord und einem finalen Guthaben von 12:35,36 Minuten - zwei Sekunden weniger als Kenenisa Bekeles Weltrekord (12:37,35). Man wusste nicht so recht, was frappierender war: Cheptegeis wahnwitzige Präzision oder seine spitzbübische Art, mit der er das Schwere so leicht hatte aussehen lassen.

Cheptegei hatte für sein Unternehmen im Grunde eine Woche Anlauf genommen: Er war sieben Tage vor dem Rennen von seiner Heimat in die Hauptstadt Kampala gereist, dann per Charterflug nach Nairobi - Ugandas Grenzen sind wegen der Corona-Pandemie noch immer verriegelt - und über Istanbul und Nizza nach Monaco, eine Odyssee über vier Tage. Er hatte seit Februar kein Rennen bestritten; damals stellte er in Monaco den Straßenweltrekord über fünf Kilometer auf, in 12:51 Minuten. So schnell war er bis dahin nicht mal auf der Bahn gewesen.

Dass er nun, für die Diamond League im Fürstentum, Bekeles Richtwert als Ziel ausrief, erschien reichlich gewagt. Aber sein Manager Jurrie van der Velden fand das gegenüber dem Branchenportal Letsrun.com völlig logisch: Cheptegei habe nach der Verschiebung der Olympischen Spiele für dieses Jahr nur noch den Rekord im Sinn gehabt, und wegen der Reisebeschränkungen sei er nun mal weniger abgelenkt gewesen. "Ich habe im Garten meiner Großeltern geholfen, die Grundschule in meiner Heimatstadt gestrichen", sagte Cheptegei in Monaco, ansonsten: Training, Training, Training.

Tatsächlich zählt der 23-Jährige schon seit einer Weile zu den Branchengrößen. Er hangelte sich über Nachwuchsmedaillen zu ersten Finalteilnahmen bei Großevents, 2015 hospitierte er bei Marathon-Weltrekordmann Eliud Kipchoge in Kapsabat, bekam aber bald Heimweh. Cheptegeis Management zog in Kapchorwa, auf 1800 Metern in der ostugandischen Hochebene, eine eigene Trainingsfiliale hoch, mit dem unscheinbaren Niederländer Addy Ruiter als Leiter. Jos Hermens, Ruiters umtriebiger Vorgesetzter, sagte schon damals im Gespräch, dass er zunehmend die Talente jenseits der Laufnationen Äthiopien und Kenia im Blick habe, die zuletzt von diversen Korruptions- und Dopingskandalen erschüttert wurden.

Seine wichtigste Lektion habe er vor drei Jahren gelernt, sagte Cheptegei nun: als er bei der Cross-WM in der Heimat Gold vor Augen hatte, dann aber mit der Anmut eines rheumatischen Bodybuilders ins Ziel torkelte. Seitdem ging es steil aufwärts. Bei der WM 2017 bezwang er Farah fast schon über 10 000 Meter, 2019 gewann er über diese Strecke WM-Gold und verbesserte die Straßenweltrekorde über fünf und zehn Kilometer (26:38). Und sonst? Er sei ein großer Literaturliebhaber, vermerkte das Portal des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in einer Handreichung, was man garantiert noch nicht über den neuen Stern der Szene wisse.

Die wirklich interessanten Fragen wurden dabei natürlich nicht verhandelt. Zum Beispiel, welche Rolle eine neue Lichtinstallation gespielt hatte, die den Athleten in Monaco an der Innenseite der Bahn anzeigte, wie sie in der Zeit lagen. Oder das Anti-Doping-System, das während Cheptegeis Konjunkturhoch völlig brachlag, auch wenn das freilich auch den Rest der Welt betraf. Und natürlich ist da noch die Schuh-Debatte, die seit Längerem im Laufsport köchelt. Cheptegei hatte schon bei seinen Straßenrekorden ein Modell getragen, dem katapultartige Fähigkeiten nachgesagt werden, in Monte Carlo profitierte er von einem ähnlichen Fabrikat für die Bahn. Laut Weltverband ist letzteres Modell regelkonform; die zuständige, hastig zusammengestöpselte Arbeitsgruppe sichtet aber erst seit Ende Juli ein Feld, das seit Jahren von immer ausgefeilteren Modellen geflutet wird.

"Mein Ziel ist es, die nächsten fünf, sechs Jahre auf der Bahn zu dominieren", sagte Cheptegei in Monaco noch - so wie seine prominenten Vorläufer, Bekele, Haile Gebrselassie, Daniel Komen. Blöd nur, dass der Weltverband zuletzt beschlossen hat, die traditionsreichen 5000 Meter künftig aus der Diamond League zu streichen. Zwölfeinhalb Runden, das hatte eine interne Erhebung ergeben, seien im modernen Mediensportzeitalter einfach zu langatmig.

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SZ vom 17.08.2020
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