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Leichtathletik und die Ukraine:Vom Geruch des Kalküls umweht

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Wochenlang zeigte der Leichtathletik-Weltverband große Solidarität mit Athleten und Funktionären aus der Ukraine. Dass er ausgerechnet bei der Hallen-WM in Belgrad auf weitere Botschaften verzichten will, sendet ein fatales Signal.

Kommentar von Johannes Knuth

Die Botschaft, die der Leichtathletik-Weltverband vor Kurzem verkündete, klang gut, auf den ersten Blick. Alle Leichtathleten, die an diesem Wochenende bei der Hallen-WM in Belgrad starten, dürfen ihre Solidarität für die Ukraine bekunden, in welcher Weise auch immer. Das mutete an wie ein erfrischender Kontrapunkt in einem Gewerbe, das für gewöhnlich niemanden so schnell sanktioniert wie Athleten mit Regenbogenarmbändern und sonstigen Botschaften auf dem Spielfeld. Auch wenn diese rigorose Haltung zuletzt doch ziemlich erodierte, erst recht im Lichte eines russischen Angriffskrieges.

Wie schnell man sich dabei noch immer verheddern kann, hatten die Hallenmeisterschaften der deutschen Leichtathleten zuletzt erst gezeigt: Der nationale Verband hatte zu Beginn eine Schweigeminute abgehalten, die ukrainische Flagge auf dem Videowürfel eingeblendet. Als ein Athlet mit einer Ukraine-Fahne auf dem Arm starten wollte, musste er diese aber abkleben. Den 3000-Meter-Läufer Maximilian Thorwirth, der auch in Belgrad starten wird, hatte diese Doppelbehandlung schwer geärgert: "Ich frage mich, was wir hier machen?", polterte er, nachdem er mit gelb-blauem Band am Handgelenk zum Meistertitel gerannt war. Gute Frage. Warum nicht die Armbänder für alle freigeben, wie jetzt in Belgrad?

Den Athleten den Protest in der Arena zu überlassen, wirkt wohlfeil

Auf den zweiten Blick wirkt die Aktion schon schwer vom Geruch des Kalküls umweht. Denn Gastgeber dieser Hallen-WM ist Serbien - ein Land, das schon ganz gerne in die EU möchte, es sich aber auch nicht mit seinen russischen Freunden verscherzen will, bis zuletzt etwa keine Sanktionen mittrug. Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, sagte unlängst, dass sein Verband auch deshalb keine offizielle Solidaritätsbotschaft während dieser Hallen-WM absetzen werde. Das wirkte, milde gesagt, befremdlich: Wochenlang hatte Coes Verband Mitgefühl verbreitet, russische Athleten ausgeschlossen, die "barbarische Invasion in einem souveränen Staat" verurteilt - um nun, an der Pforte der Stark Arena in Belgrad, zu verstummen? Auf die serbische Politik kann Coe schlecht verweisen, das Land hat sich immerhin jener UN-Resolution angeschlossen, die Russlands Aggression verurteilt.

Sich nun in die Ehrenloge zu verziehen, während Athleten mit gelb-blauen Armbändern durch die Halle rennen, wirkt jedenfalls wohlfeil, sehr milde gesagt. Zwar protestierten zuletzt auch viele Serben gegen Russlands Krieg, viele tragen aber auch Russlands Kurs mit - in Belgrad tauchten zuletzt sogar Mauergemälde zu Putins Ehren auf. Welche Bekundungen wird das Belgrader Publikum da jenen Leichtathleten zufliegen lassen, die sich für die Ukraine einsetzen? Umso wichtiger wäre es, würde der Weltverband in der Arena zeigen, wo er steht. Nicht zuletzt für die ukrainischen Athleten, die es unter gewaltigen Wehen nach Belgrad schafften. Die Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich etwa, die Olympia-Dritte, die, wie die FAZ berichtete, sich aus dem Kriegsgebiet durchschlug, 60 Stunden mit dem Auto, vorbei an "Explosionen, Bränden und Luftschutzsirenen", wie sie jetzt erzählte.

Und Coe? Der unterfüttert einen fatalen Eindruck: dass Solidarität mit einem angegriffenen Land offenbar weniger zählt als wie auch immer geartete Geschäftsinteressen.

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